14. Jahrgang | Nummer 24 | 28. November 2011

65 Jahre Deutsches Symphonie-Orchester Berlin

von Liesel Markowski

Von einem „kleinen Jubiläum“ ist die Rede, wenn das nunmehr  65jährige Bestehen des einstigen Rias-Symphonie-Orcheters gefeiert wird. Man begeht diesen Geburtstag als Deutsches Symphonie-Orchester (DSO) mit mehreren Abenden in der hauptstädtischen Philharmonie. Dabei ist auch zu bedenken, dass dem Ostberliner Publikum die Angebote ihres, des älteren sinfonischen Rundfunkklangkörpers über Jahrzehnte vertraut sind, die des DSO dagegen in frischer Erinnerung. So: prachtvoll musizierte Musikerlebnisse  unter Kent Nagano wie hochinteressante Programme unter Ingo Metzmacher. Eine Bereicherung des möglichen Musikerlebnisses auf nachdrückliche Art.
Der jüngste Jubiläumsabend zielte erfreulich auf Zukünftiges. Denn am Pult bewährte sich der designierte Chefdirigent Tugan Sokhiev (sprich: Sochijew) mit einem ungewöhnlichen Programm: Kompositionen von Olivier Messiaen, Frédéric Chopin und César Franck führten in die gegenüber fremden Einflüssen offene Musikwelt Frankreichs. Paris als Metropole großartiger Kunst im 19. und 20. Jahrhundert erstand gleichsam in klingenden Denkmälern. Tugan Sochijew, gebürtig in Wladikawkas (Ossetien) und der russischen Musikausbildung verbunden, hat sich – heute 34-jährig – bereits in manchen europäischen Metropolen erprobt, unter anderen in Frankreich. Seine Programmwahl fußt daher auf Erfahrung, was bei diesem Konzert durch Sicherheit und Konzentration seines Auftretens erkennbar war. Dass er sich außerdem keineswegs auf Bekanntes verließ, sondern wenig Gehörtes einbezog, lässt auch weiter auf Neuartiges hoffen.
Kaum bekannt ist die sinfonische Meditation des 22jährigen Messiaen von 1930: „Les offrandes oubliées“ (Die vergessenen Opfer) – noch eine Studentenarbeit, lässt sie schon die Strahlkraft des später so faszinierenden Klangschöpfers spüren. Auch die tiefe Gläubigkeit des Komponisten ist präsent in dem dreiteiligen Stück: „Das Kreuz“, „Die Sünde“, „Die Eucharistie“. Sie setzt allgemein verständlich Menschliches frei, was in der präzisen Wiedergabe der ruhigen Außenteile im Kontrast zum heftig-grellen Mittelteil zum Ausdruck kam. Feine orchestrale Klangkultur, die im Bekannten der Programm-Mitte angenehm zurückhaltend fungierte.
Nämlich bei Chopins zweitem Klavierkonzert (f-Moll, 1830), ein Meisterwerk des erst Neunzehnjährigen, der – halb Pole, halb Franzose – „Fremdes“ nach Paris brachte. Es ist eine Virtuosenkunst, ganz aufs Klavier orientiert, die orchestral eher sanft und elegant eingehüllt wurde. Wundervoll der Solopart von dem jungen Russen Nikolai Tokarew gespielt: in hinreißender Brillanz und Kraft das beginnende „Maestoso“, mit Charme und Poesie das „Larghetto“ und temperamentvoll prickelnd gesteigert zum „Allegro vivace“ á la Mazurka. Ganz polnisch – ein Höhepunkt.
Das Finale brachte noch einen Gipfel: im voluminösen Klang des Orchesters. Unbekanntes mit „Fremden“ aus Belgien, dem Geburtsland von César Franck, des nach Frankreich ausgewanderten Komponisten. Er gab mit seiner d-Moll-Sinfonie (1886-88) dieser von den Franzosen vernachlässigten sinfonischen Gattung frisches Blut. Es sind nur drei Sätze, die der großen orchestralen Geste  auf der Spur zu sein scheinen. Vom düster tragischen Beginn geht es in teilweise grellen Steigerungen zur überbordenden Klangapotheose. Rauschhaft werden Klangsäulen und melodische Bögen aufgebaut. Nach zartem Balladenton im zweiten Satz überwiegt großflächige, bombastische Klangkraft im Finale. Unter Sokhievs diszipliniertem Dirigat gelang dem Orchester ein ebenso farbiges wie zupackendes Spiel, ohne dem Werk Gefälligkeit geben zu können.