von Renate Hoffmann
Burgund. Die Vorstellungen kreisen um große Romanik; Pinot Noir und die ausgedehnten Weinbauflächen der Côte d’Or; um die weißen Rinder, den waldreichen Morvan mit Fernblicken, die den Atem nehmen – und um schöne Frauen.
Die schönste, sinnverwirrendste, mit makelloser Körperlichkeit lockende unter ihnen, schwebt, lebt (lebt nun hinwiederum nicht – nimmt man das Wort beim Worte) schwebt also durch paradiesische Gefilde. Durch Dattelpalmen und Granatapfelbäume, Tamarisken, Weihrauchgesträuch und Terebinthen. Phönizische Rosen gedeihen unsichtbar im Hintergrund, die Fantasie lässt sie blühen.
Eva, die Urweibliche, wiegt und biegt sich im Pflanzenwald. Gewelltes Haar fällt weich über ihre Schultern und die großen Augen entdecken überrascht etwas Neuartiges, Unparadiesisches – den nackten Adam. Die geschürzten Lippen flüstern, noch ungewohnt, Zärtlichkeiten. Sie greift hinterrücks nach einer Frucht, die ihr die Schlange, im Geäst versteckt, anpries. Ein Disput der beiden ging dem voraus: Was denn der Herr des Gartens ihnen angewiesen habe, zu tun und zu lassen? Sie dürften alles nach Belieben. Nur die Nähe „des Baumes der Erkänntniss“, die sollten sie meiden, – geschweige denn von seinen Früchten kosten, es gäbe sonst ein böses Erwachen, oder gar das Ende vom eben stattgehabten Anfang. „Mitnichten; sprach die Schlange … / welches Tages ihr davon esset, so werden eure Augen aufgethan / und werdet seyn wie Gott / und wissen / was gut und böse ist.“ Und Eva „schauete an, … daß es ein lustiger Baum wäre / weil er klug machte / und nahm von der Frucht und aß.“ (Erstes Buch Mose, Cap. II/III, Ausgabe 1702)
Sie hat gegessen. Und sieht. Und fühlt. Etwas Unnennbares, nie Gekanntes strömt ihr durch Leib und Sinne. Sie wird Adam die Frucht reichen. Dann werden auch ihm die Augen aufgetan – und übergehen, ob dieses Wunderwerks weiblicher Schönheit. Doch es gibt ihn nicht mehr, den ersten Mann. Der Zeitenlauf zerstörte das steinerne Gegenstück zur attraktiven Partnerin. Wie schade. Ich hätte so gern Adams Reaktion auf Evens Reize gesehen.
Meister Gislebertus (12. Jahrhundert), der dieses Sinnbild unwiderstehlicher Weiblichkeit um 1130 in einem Flachrelief schuf, galt als außergewöhnlich begabter Bildhauer der Romanik in Burgund, ja in Frankreich. Man berief ihn nach Autun, um dort am Schmuckwerk der Kathedrale St. Lazare mitzuwirken. Er sorgte für einen überquellenden Bilderschmuck an den Portalen. Und versah im Kircheninneren viele der Kapitelle mit lebendigen, sehr irdisch anmutenden Szenen. – Die schöne Frau Eva hob er auf den Architrav des Nordportals. Nunmehr darf man sie im „Musée Rolin“ der Stadt Autun aus der Nähe betrachten. Allerdings entfällt – bedingt durch Adams Abwesenheit – der Sündenfall. Zu großem Bedauern.
Autun hat seine „Tentation d’Eve“ und La Clayette die Schokoladen des Monsieur Bernard Dufoux in der Rue Centrale. Beim Näherkommen verrät der Duft die Chocolaterie im Haus Nr. 32. Feinwürzig, ein wenig herb, und eingewehte Schübe von Karamel, Orangen und Kaffee dazwischen. Der Schokoladenladen gleicht einer Rhapsodie in Braun. Nicht Braun schlechthin, sondern gestuft von Noir bis Blanc.
Monsieur ist ein Künstler. Er formt Orchideen aus der schmiegsamen Masse – botanisch genau – und Rosen, die Düfte aussenden. Seesterne und Muscheln; aufgebrochene Kastanien und dicke Trauben, der herbstlichen Stimmung verpflichtet. In Vitrinen liegen aufgeschlagene Bücher, eine Geige, Schreibutensilien, die Corsage einer wohlgestalteten Dame, geknöpfelt, geschnürt, die zum Dahinschmelzen verführt… Schokolade, Schokolade. Köstliche Miniaturen, zum Greifen nahe, füllen die Regale: Täfelchen, Riegel, Würfel, Kugeln – puderzuckerüberhaucht, kandierte Früchte tragend, mit Blattgoldstäubchen veredelt. Ach, welche Versuchung.
Monsieur ist ein Könner. Man darf zusehen, wie er aus dem braunen Nichts Trüffeln zaubert. Man darf riechen und raten, welche Gewürze er zugibt, um dem süßen Genuss eine erregende Note zu verleihen. Ist es Kardamom oder Thymian? Macisblüte, Rosmarin oder Lavendel? Vielleicht Koriander? Und man darf kosten. Die Kreationen tragen vielversprechende Namen: „Caprice de Caroline“, „Le Conquistador“. Auch „Bûchette aphrodisiaque“. Dieses Geheimnis möge jeder selbst enträtseln („pâte d’amande, pistache et pralinè au gingembre“). Während Monsieur rührt und schöpft und gießt, lobt und preist er die Eigenschaften der Schokolade: Sie stimuliere das Zentralnervensystem, stärke Widerstandskraft und Leistungsfähigkeit, wirke antidepressiv und aphrodisierend. Kurzum – ein Quell ewiger Lebensfreude. Etwas verschwieg er. Wer zuviel davon nascht, den bestraft die Verdauung.
Exkurs: Herr Goethe, Liebhaber der braunen Köstlichkeit, begann den Tag mit einer Tasse Schokolade oder Bouillon. Das galt auch auf Reisen. Von unterwegs schrieb er des öfteren an seine Vertraute Christiane Zeilen, wie diese: „Die Chocolade fangt an zu fehlen. Schicke mir doch welche.“ Aber es blieb nicht beim süßsämigen Morgentrunk. G. nahm hier ein Schokoladenhäppchen und dort noch eines. Die organische Beschwerde folgte: „Ich lasse mir … Morgens wieder Wassersuppen kochen“, bekennt der Geheimrat in einem Brief, „denn es scheint doch, daß die Chocolade mir nichts taugt. Wer weiß auch, was sie bei der Fabrication hineinmischen.“ – Eine Herausrede! Bezog er doch seine delikate Passion von besten Firmen, wie Riquet. Er hatte schlichtweg zuviel in sich hinein gestopft.
Monsieur Dufoux bürgt für die Qualität seines Hauses. Sie trug ihm im Jahr 1998 die Auszeichnung als „Bester Chocolatier Frankreichs“ ein. Unlängst geschah die Krönung. Er erhielt den Verdienstorden der „Légion d’Honneur“. Es versteht sich wohl, dass Monsieur seine neueste Kreation, ein Praliné, mit dem fünfarmigen Stern der Ehrenlegion verziert.
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