von Holger Politt, Warschau
Fast alles wie gehabt. Der Ministerpräsident bleibt der alte, die Regierungskoalition dieselbe. Das Kräfteverhältnis zwischen den beiden stärksten Parteien im Lande regelt sich auch weiterhin nach dem seit 2007 bekannten Abstand. Nahezu zehn Prozentpunkte trennen die Kaczynski-Partei PiS (29,9 Prozent) von der siegreichen Tusk-Partei PO (39,2 Prozent). Die Fronten sind festgezurrt, auch geographisch. Von Wechselstimmung relevanter Wählergruppen zwischen diesen beiden Parteien ist nichts zu sehen. Der PiS-Vorsitzende flüchtete am Wahlabend auch deshalb in die Zukunft, weil in Warschau, so Jaroslaw Kaczynski überraschend, spätestens in vier Jahren Budapest sein werde. Der nationalkonservative Oppositionsführer meint damit die stürmischen Straßenproteste gegen eine sozialliberale Regierung, die den nationalkonservativen Orban-Leuten an der Donau dann den Weg zur absoluten Mehrheit ebneten.
Aber lassen wir die Zukunft an der Weichsel Zukunft sein, denn auch heuer gab es zwei bemerkenswerte Ergebnisse. Zum einen kam Janusz Palikot mit seiner Liste tatsächlich in den Sejm (10 Prozent), zum anderen fuhren die Linksdemokraten der SLD (8,2 Prozent) ihr mit Abstand schlechtestes Ergebnis ein. Zusammengerechnet hätte dieses als linksliberal zu bezeichnende Lager zwar satte 18 Prozent, also deutlich mehr als die SLD allein oder im Bunde mit anderen bei den letzten Wahlen einfahren konnte, doch verraten die Wahlergebnisse ganz andere Wegzeichen.
Bisher konnte die SLD zumindest auf dem Felde links von der Mitte schalten und walten wie sie wollte. Sie war dort ohne Konkurrenz, also in einer vielleicht beneidenswerten Situation. Mit einem Ergebnis deutlich über der 15-Prozent-Marke wollte man nun zum Mehrheitsbeschaffer der Regierungsliberalen werden, die mageren Jahre der mühseligen Oppositionsarbeit vergessen lassen. Dem wurde alles untergeordnet, auch die inhaltliche Arbeit, die sich zunehmend in Beliebigkeit verlor. Als Grzegorz Napieralski vor fast zweieinhalb Jahren das Amt des Parteivorsitzenden antrat, verkündete er der erstaunten Presse noch, er sei der polnische Zapatero. Einen Beweis für diese kühne Behauptung blieb er bis heute schuldig. Und hätte er damals gesagt, er wolle dem spanischen Ministerpräsidenten in der Frage der weltanschaulichen Neutralität des Staates entschlossen nacheifern, er hätte angesichts der dicken Bretter, die es in Polen bei diesem Thema zu bohren gilt, wohl mit mehr Nachsicht rechnen können. Indessen wurde er aber allmählich zu einem inhaltlichen Leichtgewicht, dem die Kapitänsbinde auf der Brücke des sozialdemokratischen Flaggschiffs immer schwerer wurde.
Und er verschlief in seiner auf Regierungsbeteiligung versteiften Linie einen Prozess, der bereits seit einigen Jahren der stärkeren Beachtung verdient hätte. Als nämlich der Sturmwind in der politischen Schlacht den Linksdemokraten bereits stark ins Gesicht blies, gab es immer noch das so genannte eiserne Elektorat – also jene Wählergruppe, die bereits allein aus biographischen Gründen den aus der einstigen Staatspartei hervorgegangenen Linksdemokraten die Treue hielten. Geschätzt wurde es in den letzten Jahren auf stabile 8 bis 10 Prozent. Doch nun ist deutlich geworden, dass diese verlässliche Quelle allmählich versiegt. Ohne neue Zuflüsse aber droht jetzt das ganze Schiff zu stranden. Vielleicht ist die sich nun findende neue Führungsmannschaft um alte und erfahrene Hasen ja schon so etwas wie eine letzte wirkliche Chance.
Denn wie neue Wählerschichten erfolgreich gebunden werden können, machte allen anderen Janusz Palikot vor. Aus dem Stand wurde seine Liste auf den dritten Platz katapultiert. Ein glänzender Einstand, den der Chef der jungen Gruppierung nun mit Abgeordneten gehen muss, die – außer Palikot selbst – alle zusammen nicht einen einzigen Tag parlamentarischer Erfahrung besitzen. Zwar sind landesweit bekanntere Namen darunter, wie etwa der Chefredakteur einer antiklerikalen Wochenzeitung aus Lodz oder der erste bekennende Schwule und die erste transsexuelle Frau, die in den Sejm einziehen, doch die wirkliche Probe aufs Exempel müssen die 40 Abgeordneten nun erst auf sich zukommen lassen.
Bei der Frage nach der Herkunft der Wähler Palikots mutmaßten die meisten zunächst – von der SLD. Doch weit gefehlt, denn den Löwenanteil an Wahlstimmen für ihre Liste holten die Palikot-Leute von der PO. Von der insgesamt über einen Million an Stimmen, die der ansonsten strahlende Wahlsieger gegenüber 2007 verlor, gingen über 700.000 auf das Konto der Palikot-Liste. Niemand sonst war in der Lage, der fast übermächtig scheinenden PO Wasser abzugraben. Wieweit nun der umtriebige Janusz Palikot aus diesem Potential ein linksliberales Profil wird schmieden können, bleibt abzuwarten. An Aufgaben für diese politische Option mangelt es wahrlich nicht.
Weil die Wahlbeteiligung dieses Mal unter 50 Prozent blieb, ist der beträchtliche Rückgang an Stimmenzahl, den die PO zu verkraften hatte, kaum ins Gewicht gefallen. Die anderen verloren proportional zu ihrem Stimmenanteil mindestens in ähnlichen Größenordnungen, nur dort wanderten die ehemaligen Wähler vor allem in das gewaltige Lager der Nichtwähler.
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