von Kai Agthe
Georg Kaiser, 1878 in Magdeburg geboren, war einer der wichtigsten Dramatiker im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts. Auch wenn man Kaiser-Stücke noch ab und an in diesem und jenem Stadttheater erleben kann, ging die Zeit doch über seine Dichtung hinweg. 1917 erlebte er den Durchbruch und galt bald mit Gerhart Hauptmann als meistgespielter Autor auf deutschen Bühnen. Der Erfolg als Theaterautor war aber nicht von langer Dauer. Mochte der Quell an Tantiemen auch nicht mehr so reich sprudeln, blieb Kaiser ein Lebemann, der auf Luxus nicht mehr verzichten wollte. Die Folge: 1918 wurde all sein Eigentum, darunter Villen in Weimar und Seeheim/Bergstraße, konfisziert. Und drei Jahre später ist er gar wegen Scheckbetrugs verurteilt worden. In dem vorangegangen Prozess machte eine Zeugin, der Kaiser Geld schuldig geblieben war, ihrem Unmut Luft, in dem sie seine Lebensführung, die nur auf Geld fixiert sei, geißelte und auch für erwähnenswert hielt, dass Kaiser einen „Hang zu Eierkuchen“ habe. An seinem opulenten Lebensstil änderte die Gefängnisstrafe nichts. Um diesen zu finanzieren, erschlich er sich auch später Vorschüsse auf zu verfassende Werke, die er nie schrieb. 1921 hatten sich Schulden in Höhe von 500.000 Reichsmark angehäuft. Gemessen an der Kaufkraft ein heute um ein Vielfaches höherer Euro-Betrag. Sein Verleger Kiepenheuer, der immer auf Dramen seines Starautors hoffte, kam dafür auf. Als ob das nicht genug wäre, war Kaiser auch ein Schürzenjäger von Graden, der, obwohl mit der duldsamen Margarethe, geb. Habenicht, verheiratet und Vater von drei Kindern, Affäre auf Affäre häufte.
Die US-amerikanische Germanistin Gesa M. Valk, die Georg Kaisers Briefe 1980 in der Bundesrepublik und 1989 in der DDR veröffentlichte, mithin als Expertin in Sachen Georg Kaiser gelten darf, legte nun ein Buch vor, das verheißungsvoll klingt: „Georg Kaiser – Berühmter Dramatiker und ein rätselhafter Mensch“. Die Autorin hätte nicht nur auf den unbestimmten Artikel im Untertitel verzichten, sondern einen ganz anderen wählen sollen. Denn die Studie behandelt nicht den Bühnenautor, sondern dessen Verhältnis zu Maria von Mühlfeld und der gemeinsamen Tochter Olivia. Mit beiden lebte Kaiser ab 1938 in der Schweiz. Prekär genug: Der Dichter verließ Nazi-Deutschland ohne Ehefrau, beteuerte aber in seinen Briefen stets, sie bald nachholen zu wollen. Das war nur Rhetorik. Bis zu seinem Tod im Juni 1945 sollte sich das Ehepaar Kaiser nicht wieder sehen. Seine Beziehung zu Maria von Mühlfeld – die 1926 in London eine Scheinehe mit dem in den dreißiger Jahren als Verfasser von Boulevardstücken in Berlin erfolgreichen Autor Karl von Mühlfeld eingegangen war und vorher Mary Fischel hieß – hat Kaiser nie auf eine rechtlich klare Grundlage stellen können oder, was wahrscheinlicher ist, wollen. Sie und Olivia blieben auch im Schweizer Exil immer auf räumlichem Abstand zu Kaiser. Maria von Mühlfeld starb 1947, Olivia ging in die USA.
In einem Kapitel berichtet Valk, wie sie die Nachkommen der Familie von Mühlfeld suchte und in den USA fand. Auch Kaisers uneheliche Tochter Olivia konnte sie einmal kurz treffen. Die über 80-jährige Greisin lehnte jedoch jeden Kontakt zu der Kaiser-Forscherin ab. Deshalb legen hier vor allem Dokumente und Briefe Zeugnis ab von den letzten Lebensjahren Kaisers. In einem anderen Teil beleuchtet die Autorin auch Kaisers Freundschaft zu Julius Marx, der auch Schriftsteller und wie Kaiser vor den Nazis in die Schweiz emigriert war.
Basis aller Forschung war das Georg-Kaiser-Archiv in der Akademie der Künste zu Berlin, das umfangreich und gut geordnet ist. Außerdem fand sich in der Staatsbibliothek eine Sammlung von Mühlfeld-Briefen, die Aufschluss über beider Verhältnis geben. Die Schreiben der Kaiser-Geliebten, die zumindest als Briefautorin durchaus literarische Ambitionen hatte, wurden von Gesa M. Valk parallel zu dem vorliegenden Buch unter dem Titel „Ein ganzes Leben im Schatten – Die heimlichen Briefe der Geliebten Georg Kaisers über ihr Leben im Schweizer Exil 1941-1945“ ebenfalls im Mitteldeutschen Verlag Halle publiziert.
Eine Chronik zu Kaisers Leben ist im vorliegenden Buch leider nicht enthalten. Da diese fehlt, ist es für den Leser nicht immer einfach, den Kontext zur Biografie herzustellen. Man wird aber ohnehin ein dezidiertes Interesse an Leben und Werk Georg Kaisers mitbringen müssen, um die thematisch spezielle Studie seines Verhältnisses zu Maria von Mühlfeld und seine Zeit im Schweizer Exil mit Gewinn zu lesen. Das Buch tilgt aber viele weiße Flecken, die die späte Biografie des Dichters bislang aufwies. Sonst wäre es kaum zu erklären, warum es auch 65 Jahre nach dem Tod des Dramatikers noch immer keine umfassende biografische Darstellung über den Schriftsteller vorliegt, die zu schreiben Gesa M. Valk aufgerufen ist.
Gesa M. Valk: Georg Kaiser – Berühmter Dramatiker und ein rätselhafter Mensch, Mitteldeutscher Verlag, Halle 2011, 143 Seiten, 9,90 Euro.
Schlagwörter: Georg Kaiser, Gesa M. Valk, Kai Agthe