14. Jahrgang | Nummer 19 | 19. September 2011

Gehen im Moor

von Renate Hoffmann

Im Hochmoor. Es ist selten geworden. Wie auch die Stille, die über ihm liegt und sich ausbreitet und mitteilt. Kaum ein Laut. Doch in der Stille wächst die Wachheit der Sinne. Ein Vogelruf, der rasch verstummt, als habe er gültige Regeln verletzt. Feines hohes Sirren; leise, leise. Schnarrender Flügelschlag der Libellen. Und das schwabbende Geräusch, das Glucksen, wenn die Füße plötzlich in eine Moorschlenke geraten, weil man unaufmerksam zu den Wolkentürmen hinauf sah und nicht auf die sicheren Trittinseln achtete.
Ins Salzburger Land, zum Tennengebirge, nach Radstadt und auf den Roßbrand. „Schönster Aussichtsberg der Ostalpen“, so wirbt man für die 1768 oder 1770 Meter hohe Kuppe, südlich vom Dachstein. Die Aus- und Rundumsicht ist wahrhaft so schön, dass ein oder zwei Höhenmeter mehr oder weniger kaum etwas bedeuten.
Ragende Gipfel, Bergketten mit Schneehauben, Gletscher von fernher und Firnschneefelder. Näher heran – grüne Täler, Flüsse wie aufgerollte Bänder darin und verstreute Höfe. Noch näher – das Dunkelgrün der Wälder, von Lärchen aufgehellt. Ganz nahe – Wacholder zwischen niederen Föhren. Und zu Füßen Wollgras neben moorigen Lachen, den Schlenken, wie man sie auch nennt.
Ihr Wasser ist braun. Gelöste Huminsäuren aus den Torflagen färben es ein. Und haben Anteil an der Säuerung des hochgelegenen Feuchtgebietes, das die Verbindung zum Grundwasser verloren hat und nur durch die Niederschläge lebt. Auch müssen klimatisch kühle Temperaturen vorherrschen, um das Hochmoor zu erhalten.
Torfmoose, diese feingliedrigen Pflänzchen, überziehen wie Teppiche die schwingenden Flächen. Am Stiel der Ast, am Ast das Blatt – und am Stiel keine Wurzel, so sind sie ausgestattet. Es gilt: Noli me tangere. Man lasse sie also unberührt. Die kleinste Belastung führt zu ihrem Absterben.
Die Hochmoore am Roßbrand sind naturgeschützt. Ich öffne die Sperrschranke, vergesse das bisher Gehörte vom sauren „Moor-pH-Wert“, von den Entwicklungsstufen Nieder-, Zwischen-, Hochmoor und betrete das Reich der Ruhe. Achtsames Balancieren über Balkenlagen. Vorsichtig von Bult zu Bult – den halbwegs trockenen Erhebungen – hangeln (auch manchesmal daneben, ins Feuchte).
Die Rosmarinheide mit dem tiefgründigen Namen Andromeda polifolia, schickt sich an, zu verblühen; hier und da überdauert noch ein zartes, rosafarbenes Glöckchen. Rote Moosbeeren leuchten. Sie schmecken sauer. Muss man auch alles kosten?! Auf den kleinen Wasserflächen, spiegelglatt, finden sich die Wolken wieder und segeln, wohin der Wind sie treibt. Rinnsale fließen träge durch Schachtelhalmwälder. Warme Luft weht in Schüben Kiefernduft herüber, und dem Faulwasser entsteigt der Geruch nach abgestorbenen Pflanzen. Am Rande eines Tümpels werken Ameisen geschäftig an ihrem Bau. – Hier Eile, dort Weile. Gehen, stehen, verharren. Selbst die Zeit verhält den Schritt und zögert, ihren Rhythmus wieder aufzunehmen.
Allmählich wandeln sich die schwankenden Pfade zum steinigen Weg. Er endet an einer Hütte. Lebhaftes Treiben. Ausflügler sitzen in der Sonne und genießen Speise und Trank und den Ausblick. Die Welt hat mich wieder. Ich schreibe Kartengrüße. Und habe nasse Füße.