14. Jahrgang | Nummer 17 | 22. August 2011

Materie – in Bildern und Metaphern aufgelöst

von Klaus Hammer

Die Malerei ist für den Berliner Maler, Zeichner, Bildhauer und Objektkünstler Walter Libuda (Jahrgang 1950) – seit 2004 lebt er in Schildow nördlich von Berlin – nicht ein Medium, das gegen ein anderes austauschbar wäre, kein Transporteur von Inhalten, die anders auch zu kommunizieren wären. Die Malerei, das sind die farbigen Pinselstriche, die so und so zueinander geordnet sein können oder sich der Ordnung entziehen, wo Farben übereinander gelegt, ineinander gemischt sind, die glatten, die schorfigen, die borkigen Stellen, die  Spuren ganz unterschiedlicher Pinselführung oder Spuren des Spachtels. Das sind die farbigen Massen, die nur so weit in den Dienst des Bildes gestellt sind, dass sie Figuratives, Gegenständliches andeuten, oder es sind die farbigen Massen, die die Figur angreifen – in der Anspielung auf die Figur, gerade dabei, sie zu verschlucken. Libudas Arbeiten halten sich in einem Bereich, wo es um die Beziehung von Darstellung und Nicht-Darstellbarem geht, von Sichtbarem und Unsichtbarem, Bestimmtem und Unbestimmtem. Es sind Boten aus einem Zwischenbereich, nicht Traum, nicht Realität.
Dem dunklen, schwarzbraunen, blaugrauen, karminroten, stellenweise noch verschiedenfarbig changierenden krustigen Grund sind mit Hellblau, Weiß, Gelb, Lindgrün in teils – horizontal, vertikal, diagonal – gleichgerichteten, teils ondulierend gekrümmten Pinselstrichen und -bahnen, aber auch glatt gezogenen Bereichen Figurationen eingemalt, die sich hell leuchtend aus dem finsteren Feld herausheben. Sie durchmessen dieses, dringen vor, zugleich von dunklen Flecken der Farbe des Grundes durchdrungen, porös – Figurationen in einem Zwischenstadium, nicht zur Figur zusammengezogen, aber zugleich auch vorm Verschwinden im Grund gerettet.
Unter dem Titel „Rücken zum Fenster“ stellt jetzt die Berliner Galerie Parterre Gemälde, farbige Arbeiten auf Papier, figurale Objekte und Bildkästen des einstigen Meisterschülers von Bernhard Heisig aus den letzten zehn Jahren vor. Wie bei einem Blick durch ein Vergrößerungsglas oder ein Mikroskop gesehen, eröffnet sich dem Betrachter eine metaphernreiche Bildwelt der Irrgärten freier Assoziation, kühner Bauten und Apparaturen, fremdartiger Geschöpfe, mit Bildfallen versehener Örtlichkeiten – eine eigenen Gesetzen folgende „Schöpfungsgeschichte“  von überquellendem Erfindungsreichtum. Das Bild eine Bühne, Poesie, Verwandlung, Verwechslung, Farce, Magie, Zauber, Zirkus, venezianischer Karneval, Puppenspiel, Tag- und Nachttraum, auch „Alice im Wunderland“ und eher wohl noch „Alice hinter den Spiegeln“. Die reliefartigen Oberflächen der Bilder entstehen in einem steten Ringen mit der Farbmaterie, dem Farbbrei, Schicht wird neben Schicht gesetzt, neue Farbe darüber gelegt, bearbeitet, gleichsam durchgeknetet. So schafft der Künstler die Voraussetzung für eine Realisation des Bildes als malerischer Körper. Eingesetzt in die leuchtenden, juwelenartig funkelnden, energetisch gerichteten Felder und die wie magnetisch geordneten Ströme lassen sich dann auch schemenartige Figuren, Gesichter und Gesichte und andere zeichenhafte Elemente, ortlose Szenerien in entzifferbaren, scheinbar im Bildtitel aufgeschlüsselten Konstellationen ausmachen. Was sie allerdings bedeuten, ist eine ganz andere Sache. Denn die Bildtitel –  „Zangen-Arie“ (2000), „Außerhalb“ (2001), „Groß und Grün“ (2003), „Liege mit roter Wolke“ (2008), „Zwei-Strom“ (2004/09), „Schlucht, blau, mit gelben und roten Punkten“ (2009), „Grashüpferland“ (2009), „Insel-Sucher“ (2010) – sind trügerisch, nicht im wörtlichen Sinne zu verstehen. Es sind Vexierbilder, die alles verkehren, den Betrachter narren, unterschiedliche Bildinhalte wahrnehmen lassen, Suchbilder, die außer dem scheinbar erkennbaren Sujet, der Figur, auch Anderes, nicht gleich Erkennbares enthalten. Schnappschüsse des Unmöglichen. Es ist das surrealistische Verfahren, wie man eine Bildvorstellung hervorruft durch unerwartete Assoziationen und zufällige Zusammenstellungen. Ein Ding zu betrachten und ein anderes zu sehen. Oder ein Ding verändert durch sein Vorhandensein die Bedeutung eines anderen, und so läuft durch Libudas Arbeiten eine Kette von sich summierenden Bedeutungen. Dahinter steht die moderne Erfahrung von Abgründigkeit und Bodenlosigkeit, die sich in der Malerei so auswirkt, dass ihre Darstellungsmittel auseinander treiben  und sich nicht mehr zu bildlicher Darstellung fügen wollen.
In unserem Gedächtnis begraben sind die Archetypen unserer Vorstellungswelt, der Traum, uns über uns selbst zu erheben, von menschlicher Vollkommenheit, vom Mythos bis zu den ersten Flugapparaten. Die Beschreibung menschlicher Existenz zwischen Himmlischem und Irdischem, Binden und Lösen, Fallen und Steigen, Traum und öder Realität gleicht einer prekären Odyssee. Die Tragödie und Komödie, die Tragikomödie des Menschenlebens, Gefährdungen, Lockungen, Täuschungen, Verletzungen und Entblößungen, hilfloses Auflehnen und Selbstzerstörung, der Kampf um Selbstbehauptung, ums Dasein, auch gegen sich selbst, der notwendige wie erfundene – ein Formwerden aus Farbe, eine verdichtete Ahnung. Wenn die Farbe sich wie ein waberndes Gespinst verdichtet zu einem Körper, soll die Malerei einen festen Körper erhalten. Gegen die Gefährlichkeit der Auflösung der Malerei als Erinnerung setzt Libuda die schwere Körperlichkeit der malerischen Mittel, die Wolkenbrüche der Farbe und die Pinselschläge. Aber die Strukturen bleiben immer offen.

Walter Libuda: Rücken zum Fenster – Malerei, Zeichnung, Objekt, Galerie Parterre, Berlin-Prenzlauer Berg, Danziger Str. 101, Mi–So 14–20 Uhr, bis 11. September.