von Wolfgang Brauer, Wien
„Nun ist sogar sein Abgang mit Stau verbunden“, kommentierte der Kellner im Café „Schwarzenberg“ am Wiener Kärntner Ring die vor den Kaffeehaustischen stehengebliebene Blechkarawane, als die Polizei den Ring in Richtung Hofburg am 16. Juli gegen 16.30 Uhr absperrte. 400 Polizisten waren im Einsatz, um ein ungestörtes Passieren des Trauerzuges mit dem Leichnam des letzten Thronfolgers der Habsburger Dynastie durch die Innenstadt vom Stephansdom über die Hofburg in die Kapuzinergruft am Neuen Markt zu ermöglichen. Wie üblich bei solchen Gelegenheiten standen Tausende an den Absperrgittern. „Eine schöne Leich“ ist den Wienern allemal Grund, sich auch an einem heißen Nachmittag die Beine in den Bauch zu stehen.
Und der über einen Kilometer lange Zug hatte beträchtlichen Schauwert: Weniger wegen der teilnehmenden Majestäten, egal ob „Ex“ oder tatsächlich, das sieht man hier gelassener als in Deutschland – es machte vielmehr den Eindruck, als wären große Teile der Teilnehmerschaft auf direktem Wege aus der Nationalbibliothek entwichen. Nein, nicht wegen einer überdimensional zur Schau gestellten Bildung, das reduzierte sich auf die Abgesandten der diversen schlagenden Verbindungen, die mit Wichs und Schmiss und gezogenem Säbel fast an der Spitze des Zuges daher schritten. Nein, im Prunksaal der Bibliothek läuft derzeit eine Ausstellung mit dem Titel „Altösterreich“ – gezeigt werden „Menschen, Länder und Völker in der Habsburger Monarchie“. In bunten Trachten mit wehenden Fahnen marschierten Dutzende Traditionsvereine aus den Ländern der k.u.k.-Monarchie an den staunenden Betrachtern vorüber; „Mit rein historischem Hintergrund“, wie ein Rundfunkkommentator vermerkte.
Der rein historische Hintergrund bildete sich weniger in den bunten Trachten von Alpen und halbem Balkan ab, es waren militärische Traditionsvereine, die gestiefelt und gewappnet hinter den bunten Fahnen ihrer Korporationen und Kronländer im Gleichschritt durch die Hauptstadt der Alpenrepublik ihrem Kaiser das letzte Geleit gaben. Und die Trachten waren zumeist Uniformen. Der Auftritt dieser Leute hinterließ keinen Zweifel bei den Zuschauern, dass ihnen das demokratische Nachkriegssystem quer im Magen liegt. So manche Kommentare waren da zu hören – vor allem wenn schaulustige Eltern mit den Kindern am Absperrgitter standen. Deren Tenor lautete: „Da marschiert das alte Österreich, das ist Museum und Gott sei Dank auf ewig vorbei…“ So richtig überzeugt klangen die Stimmen nicht und so richtig überzeugend ist diese Haltung auch nicht. „Ein Karneval der Monarchisten“ überschrieb Der Standard anderntags seine Reportage. Das ist nun völlig daneben.
Österreich droht auch nach dem Ableben Otto von Habsburgs – hier sagt man dezidiert „Otto Habsburg“ – nicht die Wiedereinführung der Monarchie, aber das Geschehen um das jüngste Funeral geht über die übliche Nostalgie-Melange um Sissi, Franz-Joseph und Kaiserschmarren weit hinaus. Das konservative Blatt Die Presse umschrieb das ganze Spektakel dezent als „Familienveranstaltung – freilich mit starker staatlicher Beteiligung“. Bundespräsident Heinz Fischer, der Bundeskanzler und der Bürgermeister von Wien saßen beim Requiem in der ersten Reihe, am Heldenplatz empfingen den Sarg 21 Salutschüsse – ein bissel viel für einen bayerischen CSU-Politiker, dessen höchstes Amt die quasi durch ein langes Leben erzielte Alterspräsidentschaft des Europäischen Parlamentes war. Das ist der Ehrensalut für Staatsoberhäupter – an der Spitze des Trauerzuges marschierte eine Ehrenkompanie des Bundesheeres mit dazugehörigem Musikkorps. Das war de facto ein Staatsbegräbnis für Otto, den „sterblichen und sündigen Menschen“, wie die Anklopfformel für das Öffnen des Portals der Kapuzinergruft ihn bezeichnete. Die Kronenzeitung sprach von „einer Art Wiedergutmachung für die vielen Demütigungen, die sich die Republik früher … gegenüber den Habsburgern geleistet hat.“ Die Republik wurde also an den Habsburgern schuldig. Das ist neu, das lässt nachdenklich werden, da wird wohl noch einiges kommen. Zumindest dem Wiener Erzbischof, Kardinal Christoph Schönborn, war es in seiner Trauerpredigt vorbehalten, von habsburgischer Schuld zu sprechen, nämlich vom „Unglück, das Kaiser Franz Joseph durch die Kriegserklärung am 28. Juli 1914 über die Menschheit gebracht“ habe.
Die Schockstarre des österreichischen Hochadels hielt nicht lange an. Spätestens zum Abschluss des Requiems war dessen Welt wohl wieder in Ordnung. Da erklang die Kaiserhymne „Gott erhalte, Gott beschütze…“ – „… Karl den Kaiser“ wird wohl mancher innerlich mitgesungen haben. Karl (von) Habsburg ist Ottos Sohn. Karl hieß der letzte Monarch, den die Revolution 1918 zum Rücktritt zwang. Die Monarchie aufzuheben hatte er sich strikt geweigert. Das bot denn auch den Anlass für den ungarischen Admiral Miklós Horthy sich „Reichsverweser“ zu nennen. Im Gegensatz zu diesem und 99 Prozent der österreichischen Wähler – hier ist ein Einschub historischer Gerechtigkeit angebracht – hatte Otto von Habsburg nie auch nur eine Sekunde mit Hitler und seinen braunen Banden paktiert. Auch rechtskonservative Politik, Linke vergessen das gelegentlich, kennt Alternativen und Varianten. Habsburgische wie konservative Politik überhaupt hat einen langen Atem und sie lebt von wirkungsmächtig platzierten Symbolen: Ottos Herz wurde – natürlich mit rein historischem Hintergrund – am 17. Juli in der Kirche der ungarischen Benediktinerabtei Pannonhalma beigesetzt. Damit wurde der „Einheit des Reiches“ im Rahmen des momentan Möglichen Genüge getan.
Die Einheit von Thron und Altar zeigte sich tags zuvor in der Wiener Innenstadt. Das war kein Historienumzug, wie ihn 1879 der geniale Hans Makart zum Fest der silbernen Hochzeit von Kaiser Franz-Joseph und seiner Gattin Elisabeth (Sissi) inszeniert hatte. Das war ernst gemeint. Die schon zitierte Presse sprach es in Form einer Ermahnung aus: „Während also die republikanische Wirklichkeit in Österreich die Form der Realsatire angenommen hat, haben die Erinnerungen an die … Doppelmonarchie in den seinerzeitigen ‚Kronländern’ realpolitische Bedeutung.“ Im selben Artikel werden die Kritiker des jüngsten Spektakels mit rein historischem Hintergrund schon einmal als „Politpygmäen“ bezeichnet und selbst Nationalratspräsidentin Barbara Prammer (SPÖ), die sich der Teilnahme an dieser wohlkalkulierten Rehabilitierungsveranstaltung verweigerte, mit Hohn und Spott überzogen. Auch das ist ernst gemeint.
Findige Boulevardjournalisten fanden übrigens einen unleugbaren Indikator für die Ernsthaftigkeit der Vorgänge dieses Wochenendes: Weder in den Andenkenläden noch bei den Antiquitätenhändlern der Stadt habe es Otto-Andenken käuflich zu erwerben gegeben. Nur eine Ausnahme gab es offenbar: Der Antiquar Thomas Knoll hatte eine Porträtbüste des zweijährigen Thronfolgers – er war es nur zwei Jahre lang – für 4.500 Euro im Angebot. Eine Kopie der Büste hätte sich bei Otto von Habsburg höchstderoselbst befunden. Wenn den Wienern schon die Lust auf Spott und Kommerz vergeht…
Schlagwörter: Hans Makart, Österreich, Otto von Habsburg, Staatsbegräbnis, Wolfgang Brauer