von Konrad Hawlitzki
Den grafischen Ausdruck des Zeitgeistes – so nannte der Buchgestalter Rainer Groothuis einmal den Schutzumschlag für das Buch. Anfangs war dieser – oft geringgeschätzte und achtlos weggeworfene – breite Papierstreifen tatsächlich nur zum Schutze des Buches bestimmt. Doch im späten 19. Jahrhundert avancierte er zum Werbeträger: Seine Gestaltung sollte die Eigenart des Buches verdeutlichen und so zum Kauf anregen. Durch die Mitwirkung namhafter Grafiker übt er zudem ästhetische Reize aus, kann er gar das Gesicht eines Verlages prägen. Eine umfassende Darstellung der Geschichte dieses Buchzubehörs fehlt bis heute, verdienstvolle Einzeldarstellungen stammen unter anderem vom Antiquar Jürgen Holstein, der seine umfängliche Sammlung von Exemplaren aus den 20er und frühen 30er Jahren später der Berliner Landesbibliothek überlassen hat.
Einem bislang gänzlich unerschlossenen Gebiet, nämlich Schutzumschlägen von Büchern aus der SBZ und der frühen DDR, aus den Jahren 1946 bis 1956, widmet sich derzeit eine kleine Ausstellung in Berlin. Im Prenzlauer Berg führt der rührige Verein Pro Kiez Bötzowviertel seit nunmehr drei Jahren ehrenamtlich die Kurt-Tucholsky-Bibliothek, und dort sind die Exponate als Teil der Kulturarbeit des Vereins noch bis Ende September während der Öffnungszeiten zu sehen. Vereinsmitglied Erhard Weinholz hat aus seiner Sammlung mehr als dreißig zeittypische Beispiele ausgewählt und thematisch geordnet. Den Anfang machen viel gelesene Romane der frühen Nachkriegszeit, die zugleich das erzieherische Literaturkonzept der Besatzungsmacht repräsentieren: Heinz Reins „Finale Berlin“, Eduard Claudius‘ „Grüne Oliven und nackte Berge“ und Scholochows „Stiller Don“, deren papierne Hüllen allesamt recht karg, wenn nicht gar düster wirken. Weitere Tafeln zeigen die „Bücherkleider“ von Romanen und Erzählungen über den sozialistischen Aufbau in Stadt und Land, von Reportagen aus Ost und West, von Literatur zum Befreiungskampf in Fernost sowie von Jugendbüchern.
Bei der Gestaltung gingen die Grafiker verschiedene Wege: Neben den klassizistisch-typographischen Lösungen Karl Gossows vom Aufbau-Verlag stehen Klaus Wittkugels kühne und weltoffene Ideen bei Volk und Welt, die realistischen Milieuschilderungen Paul Rosiés und die ins Abenteuerliche, Fantastische gehende Zeichnungen von Gerhard Goßmann. Auch ein sehr früher Klemke ist zu sehen. (Sein Erstling von 1949 erschien leider nur im Pappeinband.) Einschläge ins Satirische findet man bei Elizabeth Shaw und Gerhard Vontra. Die Schauseite vieler Bücher sowjetischer Autoren, meist bei Kultur und Fortschritt erschienen, ähnelt hingegen oft den Optimismus sprühenden Propagandaplakaten jener Zeit.
Mit Umschlägen aus der Tauwetterperiode nach dem XX. Parteitag im Jahre 1956, darunter der namensgebende Ehrenburg-Roman, der rissig werdendes Eis zeigt, endet der kurze Streifzug durch die Gestaltungswelt dieser Jahre. Er lässt erkennen, dass auch dem grauen Nachkriegsjahrzehnt eine Kultur des Buches eigen war, eine Kultur, die trotz Abhängigkeit von den Normen und Zielen des damaligen politischen Systems manch Sehenswertes erbracht hat.
Die Kurt-Tucholsky-Bibliothek, Berlin, Esmarchstraße 18, ist montags, donnerstags und freitags von 14 bis 18 Uhr, dienstags von 15 bis 19 und samstags von 11 bis 13 Uhr geöffnet.
Schlagwörter: Buch, DDR, Konrad Hawlitzki, SBZ, Schutzumschlag