von Ulrike Krenzlin
Obwohl das Sonderkonzert der K & K Philharmoniker in Berlin am 23. Mai auf einen Montagabend fiel, war das Konzerthaus am Gendarmenmarkt total ausverkauft. Um Karten riss man sich wie zurzeit an der Wiener Staatsoper für Verdis Oper „Simon Boccanegra“ mit Anna Netrebko. Zwei voluminöse Orchesterwerke, Franz Schuberts „Tragische“, die Sinfonie Nr. 4 in c-Moll D 417 und die Sinfonie Nr. 5 in e-Moll Op. 64 von Pjotr I. Tschaikowsky krönten das Programm. Leidenschaftlich war der Beifall für die Klangpräzision aller Instrumentalisten in den an- und abschwellenden Streicherpassagen, den herausrufenden Holzbläsern, Fagotten, Klarinetten sowie bei den drei Pauken mit einem Paukisten vom allerersten Format. Unter ihrem Dirigenten, an diesem Abend Georg Kugi, bewegen sie sich wie von derselben geheimnisvollen Gewalt angetrieben, die Heinrich von Kleist in seiner Erzählung „Die heilige Cäcilie oder die Gewalt der Musik“ beschreibt. Bei Kleist geht es um einen Fall von Bildersturm während der Reformation. Durch das imaginäre Erscheinen der Heiligen Cäcilie, Schutzpatronin der Musik, konnte eine Kirche unzerstört bleiben. Kleist wurde wegen dieser Erzählung von seinen Freunden, protestantischen Dichtern, scharf angefeindet.
Doch worin liegt das Geheimnis der K & K Philharmoniker? Vordergründig darin, dass diese beiden Sinfonien zu den Highlights der tags zuvor beendeten „Tiroler Beethoven-Tage“ gehörten. Für dieses Musikfestival, das Matthias Georg Kendlinger, Impressario der DaCapo Musikmarketing GmbH, 2009 in seiner Tiroler Heimat in Kufstein gegründet hat, unterhält er auch die künstlerische Gesamtleitung. Eckpunkte sind alle Beethoven-Sinfonien sowie der künstlerische Nachwuchs. Das allein erklärt noch nicht das Feuer der K & K Philharmoniker. Kendliger sagt gern, dass er ein eigenfinanziertes EU-Projekt betreibe. Für sein Orchester nimmt er ausschließlich ukrainische Musiker unter Vertrag. Sein Interesse an der Ukraine begann mit den Kindern aus Tschernobyl, die zur Erholung in Kufstein waren. Er wollte ihnen helfen, nahm Kontakt auf zur Staatsoper in Lemberg. Diese Verbindung besteht bis heute. Die Westukraine mit ihren 35 Millionen Einwohnern gehörte 300 Jahre zur k. u. k. Monarchie Österreich-Ungarn. Deren hohe Kunst- und Musiktradition lebt in Lemberg bis heute weiter. Dort, so heißt es, singen alle Menschen auf der Straße. Berufsmusiker haben jedoch in der Ukraine kaum Perspektiven. M. G. Kendinger nimmt ukrainische Musiker im Hinblick auf sein ureigenes Ziel eine oder mehrere Saisonen unter Vertrag, nicht mit Dumping Verträgen, sondern nach der Geschäftsordnung für große Orchester, die in Österreich gilt. Jedes seiner Orchestermitglieder kennt der Dirigent seit Jahren. Alle teilen miteinander die Freude an einer großen Aufgabe. Mit diesem ungewohnten Leitungsstil und mit seinem einnehmenden Wesen erreicht Kendlinger die junge Generation wie kaum ein anderer. Die K&K Philharmoniker reisen mit rund siebzig russischsprachigen Instrumentalisten, Sängern, Balletttänzern und dem eigenen Chor saisonal durch ganz Europa. Ihre Ziele fahren sie an mit eigenen Bussen, Instrumenten und einem Techniker- und Betreuer-Team. Nach nunmehr vierzehn Jahren stehen ihnen die schönsten Ton- und Konzertsäle der Welt offen, zu denen die Hamburger Laeiszhalle, die Berliner Philharmonie und der Wiener Musikverein, die Konzertsäle von Paris, Madrid, Santiago de Compostela und Luxembourg gehören.
Doch was ist Kendlingers ureigenes Ziel? Es ist kühn genug. Kendlinger will innerhalb von wenigen Jahren zu den weltbesten Klangkörpern aufrücken. Selber ist er Autodidakt. Als Kind lernte er das Akkordeonspiel. Sein Großvater verkaufte eine Kuh für ein Akkordeon der Marke Hohner Morino. Damit übte der Junge täglich aus Freude fünf bis sechs Stunden. Eines Tages stieg der Jugendliche mit seinem Instrument vom Kaisergebirge hinab ins Tal. Es folgte eine wilde Phase. Mit seinem Quintett spielte er in den Tiroler Dörfern über tausendmal auf zu Volks- und Tanzmusik. Dann geriet er in eine Krise, pausierte drei Jahre lang, lernte Kaufmann, musste sich neu finden. Da entdeckte er seine Liebe zur klassischen Musik. In der Verbindung von musikalischer Berufung und dem kaufmännischen Fach machte sich Kendlinger selbständig. Ihm gelang es, Kunst und kaufmännischen Geist miteinander zu versöhnen. Sein Ziel bestand darin, selbständig arbeiten zu können, ohne Mäzene, ohne Druck und Erwartung von Geldgebern. Diese Vorstellung, so heißt es doch bei uns gewöhnlich, gehe nicht zusammen: Da ist das Genie, dort der Geldgeber. Beide möglichst entfernt voneinander. Kendlinger praktiziert diesen Zusammenschluss. Er hat sich bewährt. 1994 gründete er mit seiner Frau eine Agentur für szenische Opern und Konzerte. Inzwischen kann der Charismatiker auf über hundert Dirigate mit Arrangements aus der Wiener Klassik zurückblicken. Zu seinem Erfolgsrepertoire gehören „Die schönsten Opernchöre“, die „Opernmärsche“, sein Vorlieben für Giuseppe Verdi, Peter I. Tschaikowsky, Richard Wagner und Gustav Mahler. Im „Verlorenen Sohn“ (UA 2006) und mit der sinfonischen Vision „Präsident Obama-Marsch“ (UA 1.12. 2008 Konzerthaus Berlin) hat Kendlinger sich auch als Komponist einen Namen gemacht. Gesellschaftskritik steht bei ihm ganz oben. Schlagworte gelten für ihn nicht. Mit den Mitteln der Kunst mahnt er moralische Werte an, die überall verloren gehen. Daraus erwächst seinen Musikern das Feuer der Interpretation.
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