von Uri Avnery, Tel Aviv
Im Alter kehrt ein Mann zum kindischen Gehabe zurück, sagte Shakespeare. Etwas Ähnliches geschieht im Staat Israel.
Die neue Runde von Feindseligkeiten entlang des Gazastreifens war schrecklich. Eine Rakete wurde auf einen israelischen Schulbus abgefeuert und verletzte einen Teenagerjungen schwer. Als Rache wurden mindestens 15 Palästinenser getötet, einschließlich Zivilisten, Frauen und Kinder. Hunderttausende Israelis mussten sich in ständiger Angst in einem Bunker in Sicherheit bringen. Und all das wegen einer kindischen Politik.
Wer hat angefangen? Für die Israelis ist es klar – es begann mit dem Schuss auf den Bus. Wir mussten uns deshalb rächen. Für die Palästinenser ist es klar: es begann mit dem Töten eines ranghohen Hamas-Mannes. Wir mussten uns rächen. Und vorher war es … und zuvor war es … Davor war es …
Und wie wird es enden? Heute scheint es, als ob es nie enden wird. Jede Seite besteht darauf, dass man der anderen Seite nicht den letzten Schuss lässt.
Die erste kindische Entscheidung war unsere: Israel dürfe unter keinen Umständen die Hamas-Regierung anerkennen, weil die Hamas eine Terrororganisation sei, die den jüdischen demokratischen Staat nicht anerkenne. Weil die Hamas dies und das sei…
Dies ist ein kompletter – und fataler – Unsinn. Hamas mag wirklich dies und das sein, aber sie ist die einzige Regierung im Gazastreifen. Wir versuchten, sie zu stürzen – die Folge davon aber war, dass sie stärker wurde. Außerdem enthüllten vor kurzem veröffentlichte Wikileaks-Dokumente, dass ein ranghoher Israeli aus dem Verteidigungsministerium einem amerikanischen Diplomaten gesagt hatte, Israel sei daran interessiert, die Hamas-Herrschaft im Gazastreifen noch kurzfristig zu erhalten, weil eine alternative Regierung schlimmer sein würde.
Wenn es so ist, welchen Sinn hat dann dieses blutige Spiel? Warum die israelische Öffentlichkeit bluffen, wenn die Lösung so einfach ist. Israel muss die Hamas-Regierung im Gazastreifen de facto als Realität anerkennen. Israel muss mit der bestehenden Regierung über praktische Dinge, die eine Vereinbarung erfordern, verhandeln.
Es hat keinen Zweck, mit Hilfe einer undurchsichtigen dritten Partei ohne Details und ohne offizielles Abkommen noch eine unklare Feuerpause zu erreichen. Wir brauchen eine offizielle Waffenpause. Sie ist schriftlich in einem Dokument festzulegen und muss ein Verfahren enthalten, um Klagen zu klären. Wir benötigen eine vereinbarte, eindeutige, zuverlässige dritte Partei, die diesen Prozess beaufsichtigt.
Israels Verhalten gegenüber dem Gazastreifen ist anachronistisch: die Blockade – mit der Absicht, die Bevölkerung dahin zu bringen, die Hamas-Regierung zu stürzen – ist fehlgeschlagen und zu einem Hindernis geworden. Wir müssen uns vom Gazastreifen völlig und ein für alle Mal trennen. Dies heißt, dass man Gaza erlaubt, nach allen Seiten offen zu sein: den Gaza-Hafen öffnen, den Flughafen öffnen und die Grenze nach Ägypten öffnen.
Israel hat bewiesen, dass es auf effektive Weise verhindern kann, dass Waffen hereingebracht werden. Dies betrifft auch die nächste Flotille, die nach Gaza segeln wird. Lasst sie in Frieden segeln wo immer sie mag.
Dies ist im Sinne eines gesunden Menschenverstandes. Der frühere Mossad-Chef Efraim Halevy meinte genau dasselbe. Alles andere ist töricht, kindisch, ein Spiel: die haben angefangen – die müssen zuerst aufhören. Einfach gesagt – es ist eine tödliche Dummheit.
Benjamin Netanjahu hat seine zweite kindische Phase erreicht, als er die Kampagne begann, den aufkommenden „diplomatischen Tsunami“ zu verhindern: die Anerkennung eines palästinensischen Staates auf dem von Israel 1967 eroberten Land mit Ost-Jerusalem als Hauptstadt.
Netanjahu, der glaubt, ein Wort sei so viel wert wie tausend Handlungen, plant, noch ein paar Dörfer unter palästinensische Herrschaft zu geben, noch eine Konferenz im Madridstil zusammenzurufen, noch eine Regierung davon zu überzeugen, gegen die Anerkennung des Staates Palästina in der UNO zu stimmen.
Wie oft können wir diese kindischen Tricks noch wiederholen angesichts der zu erwartenden Antwort der Welt: „Israelis, wir haben die Nase voll von euch, jetzt reicht’s…“?
Übersetzung: Ellen Rohlfs
Schlagwörter: Ellen Rohlfs, Gaza, Hamas, Israel, Palästina, Uri Avnery