von Lars Berthold
Dem Insel-Verlag ist Sigrid Damm verbunden, seit ihr Buch über Jakob Lenz dort in Lizenz erschien. Dieser ehrte seine Bestseller-Autorin – von deren Recherche über „Christiane und Goethe“ allein eine halbe Million Exemplare verkauft wurden – zu ihrem 70. Geburtstag mit einem opulenten Band, in dem Gespräche mit und Texte von Sigrid Damm enthalten sind.
Das früheste Interview datiert von 1985. Dem Jahr also, in dem das erste Werk der damals 45-jährigen Autorin publiziert wurde. Mit dem fand sie – nach siebenjähriger Arbeit – auch zu ihrem bis heute gültigen Stil: „Vögel, die verkünden Land – Das Leben des Jakob Michael Reinhold Lenz“. Wie sie ihren damaligen Gesprächspartner Achim Roscher wissen ließ, beherzigte sie von Anfang an einen Hinweis Walter Benjamins: „Es gibt im Bereich der Biographik weder Kommentar noch Kritik.“ Das Zitat hat sie sich zu eigen gemacht. 2002 klingt es so: „Eine Autorin hat darzustellen, nicht zu richten, letzteres ist eine überflüssige Arbeit.“
Von Ursula Emmerich 1987 nach der für Damm charakteristischen Verknüpfung von Fakten und Fiktion gefragt – hier speziell im Buch über Cornelia Goethe – antwortete die Autorin: „Das Dokument ist für mich das Primäre, das Wichtigere. Auch die Fiktion erwächst, wenn es irgend geht, aus dem Dokument.“ Beides steht bei ihr in einem ausgewogenen Verhältnis. Dem klassischen historischen Roman, wie ihn etwa Lion Feuchtwanger geschrieben hat, steht sie jedoch höchst skeptisch gegenüber: „Mein Mißtrauen gegen das, was man herkömmlich unter historischen Roman versteht, ist groß“, sagte sie 1987 zu Michael Hähnel. Und: „Mich reizt das Problem der individuellen Lebensbewältigung“, gab sie ihm ebenfalls zu Protokoll.
Das umfangreichste Interview führte Andreas Nentwich mit Sigrid Damm 2002 für „Sinn und Form“. Hier kehren sich die Vorzeichen kurzzeitig um, da die Interviewte den Interviewer zwischendurch zu seiner Arbeit als Literatur- und Musikkritiker befragt. Und Arno Widmann, der 2008 mit Sigrid Damm eigentlich über „Goethes letzte Reise“ sprach, ließ sich gar zu der Frage hinreißen: „Haben Sie immer so gut ausgesehen, oder ist das eine Alterserscheinung?“
Auch von langjährigen Freunden und Weggefährten ist die Rede. So unter anderem von Christa Wolf und Eva Strittmatter (1930-2011) – über die sie Geburtstagsbeiträge schrieb, die auch hier zu finden sind – sowie von dem Leipziger Philosophen Jürgen Teller (1926-1999) und dem engen Schriftstellerfreund Franz Fühmann (1922-1984). „Jürgen Teller war ein Mensch“, so Damm, „der für Freundschaft begabt war, lauter, integer, absolut verläßlich, von großem geistigen und menschlichen Charme. Ich habe ihn sehr geliebt.“ Über Franz Fühmann – dem sie 1993 bei Gelegenheit der Eröffnung einer Ausstellung eine liebevolle Rede widmete – sagte sie 2002 zu Nentwich: „Franz Fühmanns Freundschaft war für mich lebenswichtig.“
Ebenfalls aufgenommen wurde die Laudatio ihres Lektors Hans-Joachim Simm, Herausgeber des vorliegenden Bandes, die er zur Verleihung des von der Literarischen Gesellschaft Thüringen e.V. vergebenen „Thüringer Literaturpreis“ 2005 gehalten hat. Ihre Dankesrede leitete Sigrid Damm mit einer Anekdote zu jenem leider vergessenen Kollegen ein, mit dem sie die Thüringer Herkunft teilt: Reinhard Lettau (1929-1996) aus Erfurt.
Da ihre Bücher in Ost wie West erschienen, hatte die Autorin bereits vor 1989 Gelegenheit, auf Lesereisen die westliche Hemisphäre kennenzulernen. Als sie an einem Apriltag 1987 auf einer Bank in Parma saß, kam ihr in den Sinn: „Und da sah ich plötzlich wie Fliegenschiß auf einem fauligen Apfel die DDR vor mir, in ihrer Kleinheit und Kleinlichkeit und mich darin.“ Dennoch kam sie in die größte DDR der Welt zurück, vor allem wegen ihrer Söhne Joachim und Tobias, mit denen sie 2002 auch die „Tage- und Nächtebücher aus Lappland“ gestaltete. Die Zäsur in ihrem Verhältnis gegenüber dem Staat, in dem sie lebte und schrieb, bedeutete für sie nicht primär die Ausbürgerung Wolf Biermanns 1976, sondern Rudolf Bahros Buch „Die Alternative“, nach dessen Lektüre sie 1977 zu dem Schluss kam: „Wenn der Sozialismus diese Kritiker nicht zuließ, würde er sich selbst abschaffen.“ Das war auch ein Grund, 1978 das Dasein als freie Autorin zu wählen. Bis dahin hatte sie im Kulturministerium gearbeitet. Eine Tätigkeit, die, so Damm im Jahr 2008 gegenüber Arno Widmann, „auf der Grundlüge basierte, zwischen Künstler und Staatsapparat gebe es ein vertrauensvolles Verhältnis.“
Den Titel für das Buch lieh sich die Autorin oder ihr Herausgeber von einem Gedicht Joachim Ringelnatz‘. Ein Fehlgriff. Denn „Einmal nur blick ich zurück“ trifft das Anliegen des Bandes nicht, da jedes Interview und auch die meisten Beiträge von Sigrid Damm Blicke zurück sind. Die Gespräche und Beiträge sind Mosaiksteine des künstlerischen Selbstverständnisses Sigrid Damms und bilden in ihrer Gesamtheit eine veritable Poetik, einen Schlüssel zu ihrem Werk.
Sigrid Damm: „Einmal nur blick ich zurück“. Auskünfte, hrsg. von Hans-Joachim Simm, Insel-Verlag, Berlin 2010, 465 S., 14,- Euro.
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