von Axel Fair-Schulz, Potsdam/N.Y.
Nun haben wir es also endlich getan! Ja, statt weiterhin nur darüber zu lamentieren, wie tief Obama gefallen ist – vom einstigen politischen Visionär zum Zögerer, Taktierer und Opportunisten – haben wir den seit den Wahlkampftagen von 2008 unser Auto markierenden pro-Obama-Aufkleber abgerissen. Zu tief sitzt nicht nur in unserer Familie die Enttäuschung über einen Präsidenten, der die historisch einmalig günstige Chance verspielte, die politische Kultur der USA zu demokratisieren und den jede Demokratie verzerrenden massiven Einfluss der Finanzeliten zurückzudrängen. Obama und sein Beraterstab denken kaum über das Ziel des bloβen Machterhaltes hinaus und haben jede ernsthafte Bemühung aufgegeben, die amerikanische Gesellschaft in Richtung sozialen Ausgleichs und wirtschaftlich-ökologischer Nachhaltigkeit umzubauen. Und dies, obgleich die groβe Mehrheit der Amerikaner sich dafür wieder und wieder in Umfragen für ebensolche Entwicklungen ausgesprochen hat. Beispielsweise hat eine kürzlich von der Fernsehsendung 60 Minutes und der Zeitschrift Vanity Fair in Auftrag gegebene Umfrage demonstriert, dass 61 Prozent der amerikanischen Bevölkerung weitere Sozialkürzungen scharf ablehnen und dafür lieber die obszön superreichen Eliten stärker besteuert sehen möchten.
Es ist müβig, die nur allzu bekannte Liste von Obamas gebrochenen Wahlkampfversprechungen hier noch einmal aufzulisten. Als humanitäre Einsätze getarnte imperiale Eroberungskriege verschlingen hunderte Milliarden Dollar, Folterhöllen wie Guantanamo sind nach wie vor in Betrieb, und die sich als Leistungsträger bezeichnenden wirtschaftlichen und sozialen Eliten ruinieren weiterhin die amerikanische Gesellschaft mit ihrer alles überwuchernden und völlig verantwortungslosen Raffsucht.
Keine ernstzunehmende Stimme hat von Obama Wunder erwartet. Auch uns war von Anfang an klar, daβ Obamas links-liberale Wahlkampfslogans mit der plutokratischen Realität Washingtons kollidieren würde. Doch die atemraubende Geschwindigkeit, mit der sich Obamas Administration den dominierenden Machtstrukturen anpasste, ohne auch nur zu versuchen, diese zu demokratisieren, ist schon beachtlich.
Die demokratische Partei Obamas wurde wiederholt von linker Seite als Friedhof sozialer und anderer Protestbewegungen bezeichnet. Sobald sich auβerparlamentarische Bewegungen von den groβen Parteien vereinnahmen lassen, ist es um sie geschehen. Der Idealismus hunderttausender Aktivisten, die sich 2008 für Obamas Wahl einsetzten, wurde auf dem Altar bürokratischen Machterhaltes geopfert. Millionen enttäuschte Wähler blieben während der Kongresswahlen von 2010 zu Hause und werden es vielleicht auch zur kommenden Präsidentenwahl 2012 tun. Das könnte Obama durchaus das Weiβe Haus kosten. Obama und sein Team jedoch vermeiden jedwede Kurskorrektur und versuchen, die radikal-konservativen Republikaner teilweise noch rechts zu überholen, was es diesen wiederum ermöglicht, selbst noch weiter nach rechts-auβen zu rücken.
Obama scheint sich nur noch als Erfüllungsgehilfe der superreichen Wirtschafts- und Finanzelite zu sehen. Denen nämlich macht er immer neue Steuergeschenke – auf Kosten der zunehmend verelenden Armen und der verarmenden Mittelschicht. Nur ein Beispiel unter vielen anderen ist hier die neueste Reduzierung des Children’s Health Insurance Program um weitere 3,5 Milliarden Dollar. Bedürftigen Kindern wird die Krankenversicherung gekürzt, während Obama gegen angeblichen Sozialneid wettert und der amerikanischen Bevölkerung rät, diesen “Leistungsträgern” doch ihre Millionen und Milliarden zu gönnen.
Unseren Obama-Aufkleber haben wir inzwischen ersetzt durch ein Poster, auf dem in klarer Schrift steht: Don’t Agonize – Organize! Daran wollen wir uns also halten: nicht in Enttäuschung oder gar politischer Lethargie versinken, sondern darauf hinarbeiten, uns zu organisieren, zu vernetzen und zu mobilisieren. Positive Veränderungen sind weder im Selbstlauf noch von den Machteliten zu erwarten, sondern nur durch uns, die hoffentlich nicht endlos schweigende Mehrheit, zu erzwingen. Zeigen wir Obama in Petitionen und Demonstrationen, bei der vollen Ausschöpfung aller zivilgesellschaftlichen und demokratischen Möglichkeiten, dass er unsere Wählerstimmen im Jahr 2012 nur bekommt, wenn er sich nicht nur um die Belange der ein bis zwei Prozent der Superreichen kümmert, sondern sich auch dem Rest der Gesellschaft zuwendet.
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