von Ulrich Scharfenorth und Helder Yurén
Deutschland deckt seinen Erdgasbedarf derzeit zu 15 bis 16 Prozent selbst – vornehmlich durch konventionelle Förderung in Niedersachsen. Das Gas ist flexibel einsetzbar und ökologisch weniger bedenklich als Kohle und Öl. Allerdings schwinden die Vorräte. Die Gasbranche setzt nun aber ihr positives Image vor allem dafür ein, dass eine andere, höchst bedenkliche Art der Gasexploration hoffähig wird. Gemeint ist die „gewaltsame“ Erschließung von oft zahlreich vorhandenen kleinen Lagerstätten, die sich in porösem Gestein oder in Kohleflözen quasi „verkapselt“ haben. Ihr tausendfaches „Einzelanbohren“ wäre wegen zu geringer Ergiebigkeit höchst uneffektiv. Bereits vor Jahren wurde deshalb ein Verfahren entwickelt, bei dem die Gas führenden Bereiche von außen aufgesprengt werden. Nachfolgend gelangt das frei werdende Erdgas problemlos in Richtung Bohrloch. Die Rede ist vom „hydraulic fracturing“ – kurz auch „Fracking“ genannt.
Bei dieser Technologie wird Press-Wasser, gemischt mit Sand und teilweise hoch toxischen Chemikalien (die genaue Zusammensetzung wird geheim gehalten) durch das Bohrloch in Kohleflöze, Schiefer oder dichtes Gestein gebracht. In 1.000 bis 4.000 Meter Tiefe reißt der Fels beziehungsweise das Flöz in kaum überschaubarem Umfang, wobei Sand und Chemikalien sichern, dass die entstandenen Spalten und Öffnungen mindestens so lange geöffnet bleiben, bis das vorhandene Gas gewonnen ist. Jeder Fracking-Vorgang erzeugt ein Erdbeben, das eine Stärke von maximal 3,5 auf der Richterskala erreichen kann. Gravierendere Auswirkungen aber dürfte der Chemiecocktail haben, der zu 20 bis 85 Prozent im Boden verbleibt. Auch die mit dem Gas aufsteigenden Wasser – die als Sondermüll entsorgt oder neuerlich in Abbaubereiche injiziert werden müssen – stellen eine Gefahr dar, weil ihre Isolierung vom Grund- und Trinkwasser schwierig und aufwendig ist. Neben den Resten des Chemiecocktails (mit so schädlichen Bestandteilen wie Toluol, Benzol, Xylol) gehört dazu auch Lagerstättenwasser, das seinerseits schädliche Beimengungen wie Quecksilber, Benzol, radioaktives Radon enthalten kann. Weder beim Einpressen des gefährlichen Gemisches noch beim Wiedererscheinen der Gas-Flüssigkeitssuspension dürfen die giftigen Zusätze mit dem Grundwasser in Berührung kommen. Gleiches gilt für die in der Tiefe verbleibenden Flüssigkeitsreste. Gerade Letztere geraten aber außer Kontrolle, denn niemand weiß, wie sie sich in den Folgejahren und -jahrzehnten durch die Klüfte, Verwerfungslinien und Störungszonen bewegen, um irgendwann die Erdoberfläche zu erreichen. Auch unplanmäßige Gasaustritte bei nicht zentrisch im Bohrloch verlegten (und damit unzuverlässig einzementierten) Stahlrohren stellen eine Gefahr dar. Exxon hält diese Mutmaßungen für abwegig, da in der Regel sauber gearbeitet wird und die Bohrziele sehr tief liegen. Schon 200 Meter Deckgebirge sollen laut Berliner Zeitung als schützende Barriere ausreichen – eine sehr pauschale und daher wenig überzeugende Argumentation.
Das Fracking wird seit mehreren Jahren vor allem in den USA angewendet. Dort liegt sein Anteil bei knapp zehn Prozent der Gesamtförderung. Die Folge sind heute 493.000 Bohrlöcher und ein zerstörtes Landschaftsbild. Hinzu kommt, dass in mehreren Fällen Grundwasser und damit die Trinkwasser-Reservoirs von Ortschaften und Städten kontaminiert wurden. Das Greenpeace Magazin berichtet, dass im Staate New York deswegen ein Verbotsverfahren gegen das Fracking läuft. Dessen ungeachtet haben die am Gasbohren interessierten Konzerne auch in Europa Erkundungskonzessionen erhalten, unter anderem in Polen, Schweden, Großbritannien und Deutschland. In Frankreich und Australien ist das Fracking nach massiven Bürgerprotesten ausgesetzt worden, woanders verzichtet man gänzlich auf seine Anwendung. In Niedersachsen hat es sich schleichend neben der herkömmlichen Gasförderung etabliert. Vor knapp drei Jahren wurde es von der schwarz-gelben Regierung „durchgewunken“ und den Bewohnern eher dünn besiedelter Gebiete „übergestülpt“. Jetzt soll es auch Nordrhein-Westfalen treffen. Bereits vor Monaten haben sich neun Konzerne die Rechte für Probebohrungen auf neunzehn Feldern gesichert. Allein die US-amerikanische Exxon verfügt über zwölf Claims. Dabei hat sie Bohrungen bei Nordwalde, Drensteinfurt und Borken-Wirthe ins Auge gefasst. Als dieses Ansinnen ruchbar wurde, waren die Anlieger schockiert. Nicht nur, dass Kommune und Bürger kein Mitspracherecht bei geologischen Erkundungen, Probebohrungen und Erschließungen haben, auch das Genehmigungsverfahren an sich hat es in sich. Es stammt – von einigen marginalen Änderungen in den Achtzigerjahren abgesehen – aus dem Jahre 1873, privilegiert die „ausbeutungswilligen“ Unternehmen zu Lasten der Bodenbesitzer und schreibt weder eine wasserrechtliche noch eine Umweltverträglichkeitsprüfung vor.
Vor allem die Bürger von Nordwalde sind diesem Konstrukt aus Gift und Gier auf die Schliche gekommen. Seit vielen Wochen protestieren sie gegen die Willkür derer, die vom deregulierten Gasfördern profitieren wollen. Im Fokus der Anklagen steht Exxon. Aber ähnliche Vorwürfe müssen sich auch das Land Nordrhein-Westfalen und der Bund gefallen lassen. Denn ersteres hat sich angesichts der mit Exxon vereinbarten Förderabgabe von 16 Prozent des Gasmarktpreises wenig dafür interessiert, was auf seinem Boden geschieht. Die Bundesregierung gibt sich trotz eines Protest-Briefes an Angela Merkel unbeeindruckt. Offenbar sind ihr optimale Bedingungen für ausländische Investoren wichtiger als Trinkwasserfragen am Rhein.
Sollte es zu den Bohrgenehmigungen kommen, ist mit vier bis sechs Bohrstellen pro Quadratkilometer auf gepachtetem oder enteignetem Land zu rechnen. Eine solche Dichte dürfte die agrarisch geprägte Urlaubslandschaft im Münsterland sehr bald in Frage stellen. Immerhin glaubt man an immense Schätze im Untergrund. Schlaumeier wollten schon mal wissen, dass man die gesamte Bundesrepublik mit dem Gas zwanzig Jahre lang versorgen könnte. Natürlich sind diese Zahlen „geschossen“ und bewusst groß gehalten, um der Aufgabe die nötige Zugkraft zu verleihen. Inzwischen haben sich in NRW mehrere Bürgerinitiativen gebildet. Die wichtigsten von ihnen agieren in Nordwalde, Borken und Drensteinfurt. Aber auch in Hamm, Hagen und Herbern rumort es. Interessant ist, dass sich selbst die meist CDU-dominierten Gemeinden im Münsterland einstimmig gegen die Pläne von Exxon ausgesprochen haben, während der in NRW regierende SPD-Wirtschaftsminister (wohl angesichts der winkenden Einnahmen) gewaltig rumeiert. Anders der EU-Parlamentarier Reinhard Bütikofer. Er warnte eindringlich vor den Gefahren, die dem Grundwasser drohen und forderte eine Wirtschaftlichkeitsprüfung. Hier müsse festgestellt werden, ob sich eine Förderung unter europäischen Bedingungen mit europäischen Umweltstandards überhaupt lohne. In diesem Kontext ist es wichtig, die bestehenden Gesetze, sprich das alte Bergrecht, endlich zeitgemäß zu ändern. Der Antragsteller Exxon muss zunächst ein Wassergutachten vorlegen. Ob das für den Konzern positiv ausgeht, wird die Zeit zeigen. Die Entscheidungshoheit liegt dann beim Land und nicht beim Bund. Auf Druck der Bürger hat Exxon Mitte März einen Arbeitskreis einberufen, der alle mit den geplanten Bohrungen zusammenhängenden Probleme beraten soll. Auf dessen Tisch liegt ein von der Bürgerinitiative erstellter Katalog, der mit „tausend Fragen“ prall gefüllt scheint. In der letzten Märzwoche schließlich hat auch die Landesregierung Farbe bekannt. Sie gab Exxon vor, die weiteren Erkundungen, darunter auch die Probebohrungen, bis zum Jahresende auszusetzen. Erst wenn das wasserrechtliche Gutachten sowie das Gesamt-Gutachten zum Fracking vorliegen, könne weiter entschieden werden.
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