von Klaus Hammer
Am 6. April starb der seit 1966 in Eberswalde ansässige Maler, Zeichner und Grafiker Gerhard Wienckowski im 76. Lebensjahr. Er dachte in Bildern. Die Landschaften und Porträts waren für ihn eine „zweite“ Wirklichkeit, eine erhöhte, gesteigerte, verdichtete Wirklichkeit, in der sich der eigentliche Vorgang des Lebens abspielte und den der Künstler durchlebte und reflektierte. „Man muss teilnehmen am Schicksalhaften einer Landschaft oder eines Menschen“, sagte er. Im schwebenden Schimmer der Farbe liegt die Welt in einem eigentümlichen Dämmer, Dunst oder Nebel, in dem die personelle Existenz des Menschen zwar ausgeschlossen bleibt, in der sich aber das Menschliche mit der Durchsichtigkeit von Schatten bewegt. Der Künstler verlandschaftete gleichsam das menschliche Antlitz und entdeckte ebenso in der Landschaft Psychisches und Physiognomisches. Er entkörperlichte die Dingwelt und brachte sie zu einem vibrierenden schwebenden Schwingen; er entmaterialisierte das Gegenständliche und löste die Konturen bis zum völligen Verwischen auf, ohne scharfe Details dazwischen.
Wienckowski geriet bis an jene Grenzzone, wo die Natur sich auflöst und verdämmert und die Konturen unserer Innenwelt im Dämmer der Außenwelt deutlicher werden und beide Figurationen – die innere Wirklichkeit des Ich und die Wirklichkeit der äußeren Welt – „aneinander darstellbar sind“ (Franz Fühmann). Es ging ihm um das Ausmessen der geistig-psychischen Landschaft. Behutsam wurden Konflikte und Widersprüche, menschliche Schicksale in den Porträtlandschaften offenbar, die der Betrachter als die seinigen zu zu empfinden vermochte.
Die Zeichnungen werden bestimmt durch einen Hell-Dunkel-Kontrast und eine Vorliebe für umschreibende Linien, die der Künstler in Bündelungen körper-modellierend übereinander legte. In der Grafik hat er mit Holzschnitten begonnen, beschäftigte sich dann mit Feder- und Kreidelithografien sowie Kaltnadelradierungen und wandte sich schließlich dem Steindruck zu. Die rhythmischen Linienbündel, das Nicht-Festlegen auf eine einzige Kontur entsprechen dem Suchen, dem Solange-als-möglich-Offenhalten. Neben das zeichnerische und grafische Werk trat das Aquarellieren, jene Art des Farbenauftrags ohne Deckweiß, bei welcher der Malgrund durchscheinend bleibt. Wenn man nass in nass malt und sich nicht auf schwere, feste Farben festlegt, kann man mit Wasser wieder etwas wegnehmen und so schwimmende Übergänge erreichen. Durch das Auftragen immer neuer Farbschichten bildet sich ein zarter Farbenschleier, der dem Bildkörper den Charakter des Ätherischen verleiht. Lasuren legen sich übereinander, erzeugen einen durchleuchteten Raum, lassen weite Durch- und Ausblicke zu, aus denen unsere Vorstellung das künstlerische Erlebnis ganzheitlich wiederherstellen kann. Wienckowski vermied jede „zerfallende Buntheit“. Der atmosphärische Klang wird durch kühle Farben und durch die Dominanz von wenigen Tönen bestimmt, aber das Spannungsverhältnis von Kaltem und Warmem musste immer gegeben sein. Es reicht von der Tonigkeit der kalten Farbskala, von Indigo, Kobalt, Ultramarin über das Krapplack-Rot, das den Raum öffnet, bis zum Terra di Siena, das die warme Skala der Ockertöne einleitet.
Der Künstler arbeitete fast ausschließlich vor der Natur, er setzte sich mitunter jahrelang mit den auf Holz gespannten Blättern, an gleichem Ort und in der gleichen Jahreszeit, auseinander. Er liebte besonders die Herbststimmung; der Herbst war ihm wie ein „Versöhnungszeichen“, er trägt das Erlebnis des Jahres in sich. Aus der Gestaltstruktur der Natur lösen sich die Formchiffren, die die Natur durchsichtig machen. Denn die Gestaltungsvorgänge der Natur sollten einsehbar und die formalen Diagramme ihrer Wirkkräfte – Strömen, Wehen, Wachsen, Vergehen – erkennbar werden. Auf diesem Weg – fort von dem „auf die Natur geöffneten Fenster“ eines Claude Monet, hin zu einer in sich geschlossenen Welt mit einer ihr eigenen, besonderen Gesetzen gehorchenden Natur, zu einer Kultivierung der Bildhaut, die in die gleiche Richtung zielt wie die von Cézanne gesuchte „Harmonie parallel zur Natur“ – gelangte Wienckowski zur Umsetzung seiner Vorstellungen von Raum, Licht und Farbe.
Die Landschaften reichen vom Oberbarnim, dem benachbarten Chorin, dem uckermärkischen Raum, dem Oderbruch, der Ostsee bis zum Thüringer Wald und weiter. So entstand nicht etwas Punktuelles, sondern Zyklisches, keine einmalige Fixierung des Sichtbaren als Landschaft oder Porträt, sondern das Bild als Verallgemeinerung in der Wiederholung und Veränderung.
Seine sensible Malweise fing das Spiel des Atmosphärischen, den Kampf zwischen Dämmer und Licht ein. Durch ständige Berührung und Übergehung wurden die Grundfarben zum Vibrieren gebracht. So organisierte der Künstler den Bildleib und machte in ihm die Erscheinung in ihrer logischen Ganzheit aus Natur und Gefühl, Beobachtung und Stimmung sichtbar und erlebbar. Das ist kein Realismus des Offensichtlichen, Feststehenden, offiziell Beglaubigten. Zur Wirklichkeit gehört ja nicht nur das Erkannte, Anerkannte, so sehr Vorhandene, die Welt will und muss immer wieder neu entdeckt werden. So bleibt auch die ihn seinen Lebtag beschäftigende Frage offen: „Es ist zwar etwas gesagt, aber ob es schon das Endgültige ist? Darin liegen der Zweifel und die Hoffnung“.
Ein großer Künstler, ein wunderbarer Mensch, einer der Stillen und Unaufgeregten ist von uns gegangen.
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