von Mathias Iven, London
Vor siebzig Jahren, am 28. März 1941, verließ die Schriftstellerin Virginia Woolf gegen 11.30 Uhr ihr im südenglischen Sussex gelegenes Landhaus und ging die wenigen Schritte zum Fluss Ouse hinunter. Dort füllte sie die Taschen ihrer Kleidung mit Steinen und stürzte sich ins Wasser. Erst am 18. April sollte man ihre Leiche finden.
Am 3. Juli 1919 hatte sie in ihrem Tagebuch notiert: „Ich glaube, dass es in meinem Leben nicht viele fünf Minuten gegeben hat, die so randvoll von gespannter Erwartung waren.“ – Zwei Tage zuvor hatte sie ihr zukünftiges Zuhause erworben … Der Saal im White Hart in Rodmell war an diesem Sommertag gedrängt voll: Monk’s House, „eine ziemlich gute Adresse“, kam zur Versteigerung. Bei 300 Pfund stand das Gebot – wahrlich kein Preis für solch ein Anwesen. Die Stimmung war gespannt. Schnell war man bei 600 Pfund. Der Auktionator stachelte die Bietenden immer wieder aufs Neue an. „Wir durften“, so erinnerte sich Virginia Woolf später, „in Zwanzigern bieten; dann in Zehnern; dann in Fünfern, und immer noch unter £ 700, so dass unser letztendlicher Sieg sicher schien.“ Schließlich, bei 700 Pfund, entstand eine Pause. Keine Gebote mehr? Hatte niemand mehr Interesse an dem Grundstück? Der Hammer fiel. Die Woolfs dankten dem Himmel, Virginia „mit purpurroten Wangen“, ihr Mann Leonard „zitternd wie Espenlaub“. Sie war euphorisch gestimmt. „Das wird für immer und ewig unsere Adresse sein“, hieß es in einem fünf Wochen darauf geschriebenen Brief an Katherine Arnold-Forster, „ich habe sogar schon unsere Gräber auf dem Friedhof markiert, der an unsere Wiese grenzt.“
Virginia Woolf fand hier, in den Downs des südenglischen Sussex endlich die langersehnte Ruhe zum Schreiben. In den Sommermonaten der folgenden Jahre entstanden in Monk’s House die Romane Jakobs Zimmer (1922), Mrs. Dalloway (1925), Die Fahrt zum Leuchtturm (1927) und Die Wellen (1931). Und nicht zu vergessen der von ihrer in Sissinghurst lebenden Schriftstellerkollegin Vita Sackville-West inspirierte Orlando (1928).
Schreiben war wichtig. Die Dorfbewohner kümmerten sie herzlich wenig, kam ihr doch das englische Dorfleben, so bekannte sie es offenherzig ihrer Freundin Vita, „völlig hirnrissig vor – ihre Fehden, ihre Neidereien, ihre Verdächtigungen –“. Als die Londoner Stadtwohnung der Woolfs am Mecklenburgh Square im August 1940 ausgebombt wurde, zog das Paar ganz nach Rodmell – Leonard Woolf sollte hier bis zu seinem Tod im Jahre 1969 leben. Nur sechs Meilen entfernt, in Charleston Farm House, lebten Vanessa Bell, Virginias Schwester, und der Maler Duncan Grant. Seit Jahren traf sich hier der Bloomsbury Kreis.
Heute wird Monk’s House durch den National Trust verwaltet und kann an den Wochenenden besichtigt werden. Das Haus ist unscheinbar: Lang und flach zieht sich das Cottage an der abgelegenen Dorfstraße hin. Der flüchtige Spaziergänger ahnt nicht, was ihn beim Eintritt erwartet. Neben seinem unvergleichlichen Charme – der Garten erregt bis heute den „Neid von ganz Sussex“ – fallen dem Besucher aber auch eine Menge Nachteile ins Auge: Die Räume sind klein, außerdem nehmen zahlreiche Türen den knapp bemessenen Platz weg. Virginia Woolf nahm es gelassen. Für sie war das Haus „wie eine grüne Höhle, kein Licht im Esszimmer, bei dem man essen kann, also essen wir in der Küche: das kommt von der romantischen Fülle unseres Weins, der alle Fenster blockiert“.
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