14. Jahrgang | Nummer 5 | 7. März 2011

Breitling – oder: Die wiedergefundene Liebe zur Mechanik

von Clemens Fischer

Haben Sie eigentlich noch eine Beziehung zu Ihrer Armbanduhr? Die meinige ist schon vor vielen Jahren auf der Strecke geblieben, als der Vormarsch der seelenlosen elektronischen Zeitknechte nicht mehr aufzuhalten war. Kein morgendliches Aufziehen des Chronometers mehr. Kein regelmäßiges Herausziehen der Krone, um ein in die Jahre gekommenes Uhrwerk wieder mit der tatsächlichen Zeit in Übereinklang zu bringen. Kein Pawlowscher Unmutsreflex mehr beim Blick aufs Zifferblatt, wenn – das Aufziehen war wieder einmal vergessen worden – die Uhr ihren Betrieb eingestellt hatte – natürlich stets zur Unzeit. Lediglich hin und wieder, in langen Abständen, ein Batteriewechsel, der keines klassischen Uhrmachers Sachkenntnis mehr bedurfte. Da kann sich keine Beziehung entwickeln.
Als Wechsler meiner Uhrenbatterien hatte ich schon seit Jahren einen Fachmann in Mahlsdorf am südöstlichen Stadtrand von Berlin unterfordert, der noch von der alten Schule ist – Herrn Winkler. Der kann einem den Unterschied zwischen einer Zylinderhemmung mit ihrem zwangsläufigen, die Ganggenauigkeit von Uhren mindernden Magnetismus und einer Ankerhemmung ohne dieses Phänomen so erklären, dass auch der Laie es versteht. Wenn dieser Laie sich für mechanische Uhren interessiert, denn in der Welt der digitalen gibt es weder Zylinder, noch Anker, noch Hemmung.
Manchmal aber ändert das Leben den Lauf der Dinge.
Die Geschichte, die hier zu erzählen ist, begann damit, dass meine Uhr einer Marke im mittleren Preissegment, die sich seit knapp fünf Jahren in meinem Besitz befand, ihren Dienst einstellte, obwohl die Batterie erst drei Monate zuvor gewechselt worden war. Batterien digitaler Uhren liefern in der Regel Strom für mindesten ein Jahr, häufig für länger, so dass mir in diesem Fall sofort Ärgeres schwante. Beim fälligen Gang zu Herrn Winkler bestätigte sich die Befürchtung. Er öffnete den rückwärtigen Deckel des Gehäuses und entnahm die Batterie, deren Überprüfung volle Funktionsfähigkeit ergab. Daraufhin klemmte sich Herr Winkler seine Lupe ins Auge, warf einen knappen Blick ins Innenleben des Zeitmessers und befundete: „Reparatur im heutigen Sinne – lohnt nicht“
Im heutigen Sinne? Das gesamte Uhrwerk hätte am Stück ausgewechselt werden müssen. Doch selbst für den Fall, dass genau dieses Uhrwerk noch zu haben gewesen wäre, riet Herr Winkler unter Kostengesichtspunkten ab – zumal auch das Gehäuse der Uhr bereits deutliche Abnutzungserscheinungen aufwies. Wieso mir an dieser Stelle der nachfolgende weichenstellendes Satz entwich, wurde mir auch im Nachhinein nicht so ganz klar. Bewusst nachgedacht hatte ich meinem Erinnerungsvermögen zufolge in dieser Richtung nämlich zuvor noch nie. Wie dem auch sei, ich seufzte: „Eigentlich hätte ich viel lieber wieder eine mechanische Uhr.“
Herr Winkler reagierte sofort: „Welches Fabrikat?“ Und mein Unterbewusstsein funkte – nun fast schon spürbar an mir vorbei – ans Sprachzentrum: „Eine Breitling. Aber nicht so einen modernen, klobigen Multifunktionsprotz in Gold – mit Mondkalender, Stoppuhr und jeder Menge anderem überflüssigen Schickschnack, wasserdicht bis 300 Meter Tiefe. Bei einer Uhr genügt’s mir, wenn sie die Zeit zeigt. Doch so etwas gibt es wahrscheinlich gar nicht mehr, oder, wenn doch, dann hat mein Einkommen nicht die nötigen Stellen vor dem Komma!“ „eBay“, entgegnete Herr Winkler ohne einen Moment des Zögerns. „Schauen Sie mal bei eBay nach, da habe ich schon sehr schöne Stücke gefunden.“
Er hatte Recht. Es hat nicht lange gedauert, da war ich auf eine entsprechende Kandidatin gestoßen – mechanisch, Stahlgehäuse, kein Schnickschnack, und sie zeigte tatsächlich nichts als – die Zeit. Den Luxus eines Sekundenzeigers sah ich der Kandidatin nach.
Spätestens hier erwies es sich als mitentscheidend, dass Herr Winkler sein Geschäft quasi im Nachbarhaus hat. So war ich mir zwar nicht sicher, ob ich ihm mit meinem nächsten Anliegen nicht auf den Wecker fiele – um eine uhrmacheraffine Metapher zu bemühen -, aber die wohlfeile Ausflucht „Keine Zeit!“ kam als Selbstexkulpation dafür, es gar nicht erst versucht zu haben, nun wahrlich nicht infrage. Also fasste ich Mut und fragte ihn, ob er sich das eBay-Angebot nicht einmal fachmännisch anschauen würde. Er tat es: „Seriös!“
Das Angebot enthielt allerdings keine Angabe zum Herstellungsjahr. Herr Winkler tippte auf ein Alter von etwa 60 Jahren und hatte einen nächsten wichtigen Hinweis parat: „Armbanduhren wurden erst seit Ende der 40er Jahre mit Stoßschutz ausgestattet – durch eine neuartige Lagerung der Unruhe. Bei Uhren ohne Stoßsicherung besteht im Falle unsanfter Einwirkungen auf das Gehäuse eine viel höhere Bruchgefahr für die Unruhe. Und wenn die bei so einem alten Modell erst einmal kaputt ist, kann man die Uhr praktisch nur noch wegwerfen.“ Es war also zu klären – war die Kandidatin schon eine entsprechende, oder war sie es nicht. Dafür gibt es bei eBay die „Fragen an den Verkäufer“. Und dieser antwortete zu Herrn Winklers und meiner Zufriedenheit. Vor dem Kauf – eBay ist ja auch Basar – stand damit nur noch ein kurzes Feilschen um den Preis an, das ebenfalls wohlgefällig, zumindest für den Käufer, verlief.
Wenige Tage später hielt ich den Erwerb in Händen, und hatte – ob des patinierten Outfits des Oldies – den Spott meiner Lebensgefährtin gratis. Doch bin ich mittlerweile an Jahrgängen gereift genug, meine Freude an etwas nicht von deren Teilung selbst durch Nächststehende abhängig zu machen. Auf das volle Mitgefühl einer verwandten Seele traf ich hingegen bei Herrn Winkler, um dessen nunmehr leibhaftige Prüfung der Breitling ich ihn bat. Zwar gewährte der Verkäufer zwölf Monate Garantie, aber …
Herrn Winklers Expertise bescheinigte der Uhr einen alters- und markengerechten und im Übrigen beanstandungsfreien Zustand – mit einer Laufreserve von über 24 Stunden und einer Laufgenauigkeit von plus / minus einer Minute pro Tag. Allerdings würde die in die Zeiger eingetragene Leuchtmasse bereits ausbröckeln und sich unter dem Uhrglas sammeln. Auch das Glas selbst wäre reichlich unansehnlich. Nun – Herr Winkler, ich erwähnte es bereits, ist noch von alter Schule: Er wechselte nicht nur das Glas, sondern erneuerte auch die Einlage in den Zeigern. Und er brachte mir den Trick bei, wie man eine mechanische Uhr sekundengenau stellt. Dazu muss das Uhrwerk allerdings abgelaufen sein. Dann nimmt man eine Präzisionsuhr – ein Funkchronometer oder eine entsprechende Internetseite (zum Beispiel www.uhrzeit.org/atomuhr.php) – zu Hilfe, stellt die Zeiger der mechanischen Uhr mit etwas Vorlauf ein und bewegt die Krone eine halbe Umdrehung – nicht mehr! – nach vorn. Damit würde der Sekundenzeiger praktisch bereits zu laufen beginnen. Die ihn antreibende Federkraft ist aber noch so schwach, dass man den Zeiger mit einer leichten Bewegung der Krone in die Gegenrichtung „auf Position“ halten kann. Sobald die Sekundenanzeige der Präzisionsuhr diese Position erreicht hat, gibt man den Sekundenzeiger frei und zieht anschließend die Uhr vollständig auf. C’est tout!
Ein größeres Problem gab es allerdings doch: Das vom Verkäufer mitgelieferte Armband – Kroko-Imitat – passte zur Breitling wie Mozarts Haffner-Sinfonie als Hintergrundmusik in ein lärmendes Straßenkaffee. Infrage kam nur ein stählernes Gliederarmband, aber, so Herr Winkler, nur eines vom Typ Elastofixo, wie es vor 60 Jahren gebräuchlich war. Der Hersteller, Rodi & Wienerberger in Pforzheim, war via Internet ebenso schnell gefunden wie die Erkenntnis gewonnen, dass das Produkt in der in diesem Fall benötigten Breite längst nicht mehr hergestellt wurde. Muss noch erwähnt werden, dass Herr Winkler auch dieses Problem löste? Er nahm Kontakt zum Hersteller auf: Der fand noch einen kleinen Restbestand, den abzugeben er nicht zögerte, so dass der stilgerechten Komplettierung meiner Breitling nichts mehr im Wege stand.
Und der Preis des ganzen Spektakels? Der war auch nicht höher als bei einer Markenuhr im mittleren Segment.
Übrigens – die einminütige Laufungenauigkeit meiner Breitling kam mir sehr entgegen, denn um die Uhr täglich lediglich aufzuziehen, muss man die Krone ja nur hin und her drehen. Das hat haptisch noch nicht wirklich viel zu bieten. Die Krone jedoch herauszuziehen, die Uhr – und sei es geringfügig – zu stellen, und die Krone dann wieder gefühlvoll, damit die Zeiger sich dabei nicht verstellen, hineinzudrücken, das ist wie früher. Da entwickelt sich eine Beziehung, und zu der gehört nun natürlich auch wieder der Unmut, wenn die Uhr – wie früher: immer zur Unzeit! – steht, weil …

P.S.: Haben Sie auch gelernt, dass man eine Uhr nie auf der Krone ablegt? Herr Winkler legt seine Uhren grundsätzlich auf die Krone! Wenn nämlich eine durch das Tragen aufgewärmte Uhr mit einem deutlich kühleren Untergrund in Kontakt kommt, dann sind die Berührungsflächen so am geringsten. Damit aber vollzieht sich der Temperaturausgleich viel langsamer und für das Material und die Funktionstüchtigkeit der Uhr viel schonender.