14. Jahrgang | Nummer 4 | 21. Februar 2011

Zweckentfremdet

von F.-B. Habel

Als die Familie Tetzlaff aus dem Ruhrgebiet, allesamt „ein Herz und eine Seele“, beratschlagte, wohin man in den Urlaub fahren sollte, war Else strikt gegen Afrika: „Das macht überhaupt keinen Unterschied, ob man da als Mann hinkommt oder als Frau – die stechen jeden, das weiß ich. Die Moskitos, die machen dir eine Schlafkrankheit!“ Wie auch manch anderer Deutsche musste sich Else darüber aufklären lassen, dass die 1974 gerade epidemisch auftretende Schlafkrankheit von der Tsetse-Fliege übertragen wurde. Damals wurde ein großes internationales Hilfsprogramm aufgelegt, und auch die Eltern von Ulrich Köhler gingen nach Afrika, um den Menschen dort zu helfen. Der kleine Uli wuchs ein paar Jahre lang in Zaire auf, bevor er studierte und ein Filmregisseur der „Berliner Schule“ wurde. Schon in den Siebzigern gab es eine „Berliner Schule“ in der BRD, Filme, die sich mit der Situation der Arbeiterklasse beschäftigten. Die „Berliner Schule“ um die Jahrtausendwende herum zeichnet sich durch eine nüchterne Beschreibung der Gegenwart, meist anhand von Beziehungsproblemen, aus. Diese Filme, die aktuelle Probleme nur vermittelt zur Sprache bringen, sind kleine Sonden in die Gesellschaft.
Köhlers mittlerweile dritter abendfüllender Film „Schlafkrankheit“ war einer von nur zwei deutschen Beiträgen, die sich dem Hauptwettbewerb um den „Goldenen Bären“ der Berliner Filmfestspiele stellten. In der Reihe mit dem schönen deutschen Namen „Berlinale goes Kiez“ wurde er auch im ausverkauften Weißenseer Kino Toni vorgestellt. Hausherr dieses kleinen, aber schönen 90 Jahre alten Lichtspieltheaters ist seit knapp zwei Jahrzehnten Michael Verhoeven, der für seinen antifaschistischen Film „Das schreckliche Mädchen“ als einer der nicht sehr vielen deutschen Regisseure eine „Oscar“-Nominierung erhielt. Er erwarb das Kino von der Treuhand – übrigens, wie er ausdrücklich betonte, weil seine Frau Senta Berger ihn dazu ermutigte –, will an diesem Hause dem europäischen Film eine Chance geben, und er hat sein Vorhaben auch umgesetzt. „Schlafkrankheit“ wurde zwar vollständig in Kamerun gedreht, setzt sich aber doch eher mit dem europäischen Selbstverständnis und dem Verhältnis der Europäer mit dem schwarzen Kontinent auseinander. Ein deutscher Arzt lebt in Kamerun von internationalen Projektgeldern zur Eindämmung der Schlafkrankheit, die doch längst eingedämmt ist. Als ein französischer Kollege ihn evaluieren soll, stellt sich heraus, dass der Arzt selbst die Evaluierung angefordert hat. Er fühlt sich fehl am Platze und hat doch nicht die Kraft, sich von seinem Umfeld im Urwald zu trennen. Ulrich Köhler erzählt beiläufig, deutet vieles nur an, macht es dem Zuschauer nicht leicht. Ein gut Teil des Films spielt im Dunkel. Einen Zeitsprung von drei Jahren bekommt man erst nach vielen Minuten mit. Ein bisschen scheint sich der Regisseur in diesem Verwirrungsspiel zu gefallen. Darf man mit einer relativ großen Förderung so am großen Publikum vorbeiinszenieren? Das ist die gleiche Frage, die der Film an uns hat. Dürfen wir zulassen, dass öffentliche Gelder – wo auch immer – zweckentfremdet werden? Köhler hat mit seinem spröden Film den Finger auf eine Wunde gelegt. So, wie er es gemacht hat, wird er nur eine kleine Öffentlichkeit erreichen.