von Liesel Markowski
Es war eine Tat gegen das Vergessen im Konzerthaus am Berliner Gendarmenmarkt. Musik von Günter Kochan stand im Mittelpunkt des Programms am 11. Februar 2011: Seine 6. Sinfonie erklang als postume Uraufführung. Kochan (1930-2009) gehörte zu den bedeutenden Komponisten seiner Zeit, nicht nur der DDR. Geboren in Luckau (Niederlausitz), künstlerisch geprägt unter anderem von Boris Blacher, besonders aber als Meisterschüler von Hanns Eisler, hat Kochan mit seinem Schaffen, aber auch als Professor für Komposition, musikkulturell Maßgebliches geleistet. Mit seiner Musik ästhetisch vielseitiger Ausdruckskraft stellte er sich immer wieder gesellschaftlich brennenden Zeitfragen. Die Erinnerung etwa an seine Kantate „Die Asche von Birkenau“ nach Worten von Stephan Hermlin, angeregt durch den Auschwitz-Prozess in Frankfurt am Main, ist noch nicht gänzlich erloschen. Warum aber wird sie nicht aufgeführt? Und nicht nur dieses Werk Kochans. Völlige Stille trat ein nach der Wende. Seine Musik verschwand – als politisch belastet geltend – wie die der meisten seiner DDR-Kollegen von den Konzertpodien. Eine schlimme Erfahrung, der Günter Kochan durch Weiterkomponieren in häuslicher Abgeschiedenheít begegnete: zwanzig Jahre lang.
Dass Lothar Zagrosek nun jenes Verschweigen gebrochen hat und Kochans 6. Sinfonie (entstanden: 2004-2006) aufs Programm setzte, lässt auf Veränderung hoffen. Eine postume Uraufführung, für die dem Chefdirigenten des heutigen Konzerthausorchesters nachdrücklich zu danken ist. Schon weil damit eine Aufführungstradition fortgesetzt wurde: Die früher als Berliner Sinfonieorchester fungierenden Musiker haben unter ihren Chefs Kurt Sanderling und Claus Peter Flor Kochans Sinfonik (die 2., 4. und 5. Sinfonie) erfolgreich uraufgeführt. Zugleich wurde beim Publikum das Bewusstsein für herausragende musikkulturelle Leistung erneut angeregt. Denn dieses Erlebnis von Kochans letzter Sinfonie beeindruckte gleichermaßen durch künstlerische Intensität wie durch exzellenten kompositorischen Anspruch. In sechs einander ohne Unterbrechung folgenden Sätzen vollzieht sich so etwas wie ein klingendes Drama kontrastvoller instrumentaler Figurationen, die hohe Kunsthaftigkeit und sinnliches Flair vereinen. Schrille aufrufende Bläserakkorde, ergänzt durch verhaltene Gesten der Pauken, geben scharf konturiert im einleitenden „Moderato-Sostenuto“ den Ton an. Im „Larghetto“ mit sanftem Hornsolo, sensiblen Streichern und Holzbläser-Monologen löst sich die Spannung. Doch ist Kochans Dramaturgie, auch seine dissonante Tonsprache, von Kontrasten gezeichnet. Das folgende „Furioso“ wirkt zornig ausbrechend wie ein verzweifelter Aufschrei wider das Unheil. Von Trompeten initiiert, breitet es sich in kantigen Variationen aus. Im „Adagio“ wird solche Härte im Bläserchoral und Streichermelos abgemildert. Alles in fantasievoller Klangregie und exzellenter Satzkunst. So auch bei den Variationen des „Allegro“ (zwölftönig gearbeitet), das schließlich zum markanten Beginn der Bläserakkorde brückenartig zurückkehrt, ehe Horn und Bassklarinette ein besänftigendes „Fine“ formulieren. Kompositionskunst auf hohem Niveau – auf jeden Fall, aber zugleich Reaktion auf jene gesellschaftlichen Veränderungen, die den Komponisten offenbar zu mahnendem Appell inspirierten. Die überaus engagierte Interpretation der Berliner Musiker unter Zagroseks konzentriertem Dirigat ließ dies spüren. Angespanntes Zuhören war gefordert. Lösung gab es dann – auch dies ein Kontrast – bei einer klangschönen, prickelnden Darbietung von Beethovens „Sechster“, der Pastorale.
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