von Wolfgang Brauer
Im Blättchen Nummer 6/2010 berichtete ich über die merkwürdige Sitte eines alljährlichen Bratwurstfeuerfackellaufes im mittleren Thüringen. Meine hauptstädtischen Freunde schütteten daraufhin Hohn und Spott über die Bewohner des grünen Herzens Deutschlands aus. Die Thüringer Bratwurst ficht das nicht an. Von den diversen Stadtrandmärkten in die City einfallend, verdrängt sie mit zunehmendem Erfolg die Berliner Wustkreationen. Wer spricht denn heute noch von der profanen Bockwurst?
Die „Thüringer“, ich meine natürlich die Rostbratwurst, wird in ihrem Siegeslauf zur Eintragung auf die UNESCO-Weltkulturerbeliste nichts aufhalten. Auch die Konkurrenz vom gegenüberliegenden Abhang des Rennsteigs kann ihr nicht das tropfende Fett reichen. Die sogenannte „Fränkische Bratwurst“, das „Markenzeichen der Brotzeitkultur im nördlichen Bayern“ (Tourismusverband Franken) entpuppt sich bei näherem Hinsehen als blanke Hochstapelei. Weder über den Inhalt der dort gestopften Därme noch über deren Länge existiert bei den bayerisch besetzten Nachbarn auch nur der Ansatz von Einigkeit. Es gibt die Fränkische Bratwurst, Nürnberger, Kulmbacher, Ansbacher, Coburger und zu guter Letzt die Sulzfelder Meterbratwurst. Da blicke noch einer durch! Der „Herkunftsverband Thüringer und Eichsfelder Wurst und Fleisch e.V.“ würde diese Kleinstaaterei nicht durchgehen lassen! Die Nürnberger allerdings ist trotz ihrer mickrigen Länge (sieben bis neun Zentimeter) noch tolerierbar. Ich verrate nicht, wo ich die in Nürnberg verzehre, jedenfalls nicht im „Bratwurstglöckle“. Am besten schmecken mir die „Nürnberger“ immer noch in Bamberg. Da gibt es dieses herrliche Rauchbier dazu und beides zusammen ist zumindest eine kulinarische Versöhnung der beiden sich seit Heinrich III. heftigst befehdenden Städte.
Logischerweise zeigt sich die völlige Wirrnis in Sachen fränkischer Bratwurst auch in der Geschichtsschreibung. Natürlich wird Karl der Große bemüht, aber über die Völkerwanderungszeit hinaus vermeint man ihre Wurzeln beim Stamme des Asterix und in den Imbissbuden des römischen Kolosseums orten zu müssen. Aber eine Rezepturkunde ist erst mit dem Jahre 1595 nachweisbar. Die Fans unserer „Thüringer“ hingegen können mit der Ersterwähnung der Wurst der Würste auf das Jahr 1404 verweisen. Das behauptet zumindest der „Verein der Freunde der Thüringer Bratwurst e.V.“ und nahm die Geschichte eben dieser Ersterwähnung zum Anlass, der „Thüringer“ endlich einen Platz auf den Gipfeln der Hochkultur zuzuweisen. Hochkultur ist eine Sache, wenn sie opernfähig ist. Genau das geschah am 30. Juli 2010 im 1. Deutschen Bratwurstmuseum in Holzhausen bei Arnstadt. „Hans Wurst und die Liebesbratwurst“ nennt sich das Opus Wurstus mit Gesang. Es fand begeisterte Aufnahme beim Publikum – es gab hinreichend Bratwürste, sogar mit Brötchen in Herzform. „Kulinarisches Spektakel endet mit gesättigten Gästen und stehenden Ovationen“, so brachte es die lokale Presse auf den Punkt. Die Liebesbratwurst (natürlich geht es wie in jeder guten Oper um Liebe und ihr feindliche Mächte) wird zum Schluss gereicht. Deren Geheimnis wird aber nicht verraten. Fahren sie nach Holzhausen! Am 18. September und am 2. Oktober öffnet sich letztmalig in diesem Jahr der Vorhang. Und am 3. Oktober findet am gleichen Orte die „5. Bratwurstiade“ statt. Wenigstens in Sachen Rostbratwurst wird sich dann wieder die kulturelle Überlegenheit des Ostens gegenüber dem Westen erweisen.
Vorsicht beim Reinbeißen!
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