13. Jahrgang | Nummer 16 | 16. August 2010

Titanenwerk

von Martin Nicklaus

Gerade durften wir uns Zeugen eines außergewöhnlichen Schauspiels nennen. Neben den Milliarden Litern Öl, die es braucht, um unsere hochtechnisierte Existenz in Gang zu halten, sprudelten täglich rund sechs oder zwei oder 14, jedenfalls Millionen Liter einzig zu dem Zwecke, dem Golf von Mexiko samt Teilen seiner Küsten ein neues Kleid anzulegen.

Auf so etwas Tolles, dieses Summer-Special, durften die Badegäste an den US-Stränden kaum hoffen, weswegen sie auch ein wenig reserviert reagierten. Genaugenommen reagieren sie mit weniger Reservierungen von Hotelbetten. Ihre zukunftsweisende Maxime lautet: Weg vom Öl! Davon träumen die Einwohner Westsibiriens oder im Nigerdelta, die in einer von der Ölindustrie verseuchten Umwelt leben müssen und deren Wasser samt der darin gefangenen Fische nach Öl schmeckt. Da bekommt der Begriff Ölsardine gleich einen wenig kulinarischen Beigeschmack.

Bisher waren Amerikaner lediglich mit jenem Öl im Wasser konfrontiert, welches millionenfach von ihren teils recht großflächigen Körpern, denen es gerade noch zum Schutz vor der Sonne diente, abspülte und nun fehlt ihnen die Begeisterung für ein Titanenwerk der industriellen Welt mit seinen Megakonzernen, das es ermöglicht, einen von Tausenden Metern Meer und Gestein begrabenen Stoff auf den Lippen schmecken zu können.

Dies mag an der zurückhaltenden, will sagen, rein sachlichen, ganz auf Emotionen verzichtenden Darstellung in den Medien liegen, die zu wahrer Hochform lediglich aufgelaufen wären, hätten ein paar Piraten oder Terroristen jene Bohrplattform, der wir das große Spektakel verdanken, versenkt. Ein Ereignis von überraschender Rarität übrigens, bedenkt man die sonstige Allgegenwärtigkeit von Piraten und Terrorismus in den täglichen Meldungen, wogegen der schlampige Umgang der Förderer mit Öl, der die komplette Kontamination der Umgebung einbezieht, eher den, medial weitestgehend ausgeblendeten, Normalfall darstellt. Sauber müssen die Verhältnisse nur sein, damit sich Ölbarone ansiedeln, weshalb Serge Tankjan singt: „Cleaning the way for the Oil Brigade“.

Beispielsweise fiel im Zusammenhang mit dem schwimmenden Tank Brent Spar 1995 erstmal niemandem auf, wie sehr sich Greenpeace in der Ölmenge, die mit der Stahlinsel im Meer versenkt werden sollte, verschätzt hatte. Die aktuelle Versenkung von Deep Water Horizont im Golf von Mexiko kam dagegen selbst für Pächter BP und Eigentümer Transocean überraschend. Bei diesem wird der Kummer jedoch gering sein, da sich die Öffentlichkeit gänzlich an BP aufreibt und er die Plattform mit dem Mehrfachen ihres Wertes versicherte: sinkende Insel, steigende Einnahmen.

BP dagegen unternahm sofort wichtige Schritte zur Schadenseindämmung: Verjagte konsequent unabhängige Journalisten und Fotografen aus dem Gebiet, über das der Multi die absolute Kontrolle übernahm, kaufte bei mehreren Suchmaschinen Worte wie „Ölpest“, so die Sucher auf eigene Seiten lockend, wo Imageabteilungen beim Zeichnen einer heilen Welt auf Ölfarben gänzlich verzichteten und setzte schließlich hochtoxische Chemikalien ein, die das Öl in tiefere Meeresschichten drücken: Aus den Augen aus dem Sinn.

Den Klimaschützern, bei deren Betrachtungen Gift bekanntlich keine Rolle spielt, sendete diese Behandlungsmethode eine frohe Botschaft. Jeder im Meer abgesenkte Barrel Öl spart Kohlendioxid-Emissionen, da er nicht mehr verbrennt. Darüber hinaus findet keine hochenergetische Umwandlung in Plastik statt, das dann sowieso wieder im Meer landet und dort den Müllkontinent, den eastern garbage patch, bereichert.

Obwohl schon durch mehrere Schadensfälle gestählt, 2005 gab es Tote bei einer Raffinerieexplosion in Texas, 2006 errang man in der Prudhoe Bay den Titel „Größter Ölschaden von Nordalaska“, darf die geneigte Öffentlichkeit nun erstaunt bemerken, wie wenig BP auf den Havariefall vorbereitet war und über Monate mal mit diesem, mal mit jenem, immer kraftvoll benannten, Versuch der Schadensbehebung spektakulär scheiterte. Nun scheint das Leck gestopft, dafür scheinen, aufgrund des hohen Drucks, Aussickerungen an anderer Stelle aufzutreten.

Natürlich bringt BP auch finanzielle Opfer: Ein Fonds mit 20 Milliarden Dollar. Klingt viel, mindert aber die Steuern und beträgt lediglich einen Jahresgewinn. Natürlich waren fast alle empört über die angekündigte Gewinnausschüttung von Milliarden von Euro. Mit Ausnahme jener, so verkruxt ist die Welt, Rentner, deren Einkommen Pensionsfonds sichern, die von den Ausschüttungen abhängen. Nur nebenbei: Den Schaden taxiert Credit Suisse auf 37 Milliarden Dollar.

Was bei finanziellen Betrachtungen aus den Augen gerät: Hier verströmte das Blut unseres Daseins. In Afghanistan und im Irak führen die USA mit ihren Satellitenstaaten Krieg deswegen („Cleaning the way …“) und vor der Küste von Louisiana schoß es unwiederbringlich ins Meer, nur weil die Betreiber an Sachverstand, einer halben Million Dollar, was einer Tagesmiete der Plattform entspricht, nicht aber an Schlamperei sparten und neben anderem auf eine Notsicherung verzichteten, die in zivilisierten Ländern Standard ist. 500.000 Dollar für elf Tote, Hekatomben unzähliger Tiere, weitflächig vergiftetes Meer, erkrankte Menschen, verseuchte Erholungsgebiete, zerstörte Natur und Kulturlandschaften, vernichtete Arbeitsplätze.

Natürlich treten auch Naturschützer auf den Plan und waschen Vögel, damit die dann sauber sterben. Sie sollten dennoch nicht greinen, denn mit jedem Tag sprudelnder Quellen kommt das Ende der Vorräte näher. Ohne Öl findet die Zivilisation heutigen Stils und damit der Raubbau an der Natur ein Ende. Eine romantische Vorstellung bestenfalls für Derrick Jensen, der sich seit Jahren in einem Kampf gegen die Zivilisation befindet und mit Büchern wie „Das Öko-Manifest“ ihre Abschaffung fordert. Bei ihm können Naturschützer lesen, was seiner Meinung nach statt Aktionismus zur Gewissensberuhigung zu tun wäre. Lieblingsthema: Staudämme abreißen. Heutzutage langt es gerade mal zu einem müden Boykottaufruf.

Ironischerweise startete BP vor Jahren mit viel Rummel eine Kampagne für ihr grünes Image unter dem Titel Beyond Petroleum. Aber dabei hatten sie wohl nicht daran gedacht, für das Eintreten von Beyond selbst in so aufsehenerregender Weise zu sorgen. Nur trägt es wahrscheinlich weniger die Züge eines neuen 19. Jahrhunderts, das Erwin Chargaff als die Blütezeit des Menschenseins beschreibt, sondern eher die einer apokalyptischen Welt, der „Mad-Mad-Trilogie“. Für den Weg dorthin plant BP bereits ein neues Werk der Superlative. Wieder in der Prudhoe Bay soll in dreitausend Metern Tiefe eine horizontale Rekordbohrung von 13 Kilometern erfolgen. Geht dabei etwas schief, wofür die Wahrscheinlichkeiten gar nicht mal so schlecht stehen, müßte Hilfe aus viertausend Kilometern Entfernung herbeigekarrt werden und unter einer möglichen Eisdecke könnte sich das Öl ungestört bis nach Europa ausbreiten.

Die Verursacher des Golf-Desasters bleiben sicher, einer alten Tradition bei Großschäden folgend, siehe Finanzkrise, ungeschoren. Üblicherweise werden Verkehrsunfälle härter bestraft. Eine Ausnahme bildet der Richterspruch gegen acht Manager im Zusammenhang mit einen anderen Titanenwerk, der Havarie 1984 in einem Chemiewerk im indischen Bhopal, bei der 15.000 Menschen starben und tausende erkrankten. Sie wurden nach über einem Vierteljahrhundert zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Das gleicht einem Verkehrsunfall.