von Kai Agthe
Im Zentrum dieses bemerkenswerten Doppelportraits der Kölner Germanistin Angela Steidele stehen Adele Schopenhauer und Sybille Mertens. Während Adele wenigstens als Schwester des Philosophen Arthur Schopenhauer bei Kulturbeflissenen noch einen gewissen Bekanntheitsgrad besitzt, dürfte der Name Sybille Mertens wohl keinem Leser geläufig sein. Das wird sich nach der Lektüre von „Geschichte einer Liebe“ hoffentlich ändern. Denn mit beiden Frauen verbindet sich, so Steideles These, „die Formierung einer lesbischen Identität der Moderne“. Wir bewegen uns am Anfang des 19. Jahrhunderts. Gleichgeschlechtliche Beziehungen waren um 1800 undenkbar. Derlei Wünsche mußten verschwiegen, verdrängt und/oder sublimiert werden. Aber auch in heterosexuellen Partnerschaften hatte man oft keine Wahl. Der Lebensweg von Frau und Mann war vor 200 Jahren durch elterliches Heiratskalkül vorgezeichnet. Sybille Mertens traf es als zur Ehe gezwungene Frau mit homosexueller Ausrichtung also doppelt hart. Die zu ihrem Freundeskreis gehörende Lyrikerin Annette von Droste-Hülshoff sprach von der „Ehehölle“ ihrer Bekannten, die einen 16 Jahre älteren Mann heiraten mußte und mit diesem vom ersten Tag an unglücklich war. Sybille, 1797 in Köln geboren, gebar sechs Kinder, die sich für den Lebenswandel ihrer Mutter später rächten, in dem sie ihren Nachlaß vernichteten. Adele Schopenhauer hingegen, die ebenfalls 1797 in Hamburg das Licht der Welt erblickte und in Weimar aufwuchs, blieb zeitlebens unverheiratet. So wurden diese lesbischen Frauen zur gesellschaftlichen Mimikry gezwungen. In späteren Zeiten wäre Adele, so Steidele, wegen ihres profunden Wissens Schauspielerin oder Literaturwissenschaftlerin geworden. Die für ihre universale Bildung bekannte Sybille brachte es auch ohne Studium zu einer sehr angesehenen Altertumskennerin. Eingebettet in die Doppelbiographie werden auch noch die Lebensgeschichten von Ottilie von Goethe – Adeles erster Liebe –, Anna Jameson und Laurina Spinola, mit der Sybille Mertens in Italien eine leidenschaftliche Beziehung unterhielt. Es verdient Respekt, wie detailliert und sensibel die Autorin den Lebensspuren Adeles und Sybilles folgt, die sich fanden und verloren, um sich wieder zu finden; die aber ihr Leben nur träumen, ihre Träume aber nicht leben durften.
Angela Steidele: Geschichte einer Liebe. Adele Schopenhauer und Sybille Mertens. Suhrkamp Verlag, Berlin 2010. 334 Seiten, 24,80 Euro
Schlagwörter: Adele Schopenhauer, Angela Steidele, Kai Agthe, Sybille Mertens