von Wolfgang Schwarz
Die am 28. Mai in New York zu Ende gegangene turnusmäßige Überprüfungskonferenz zum Atomwaffensperrvertrag (NPT) war nach Auffassung vieler Beobachter ein Fehlschlag, weil wirklich substantielle Fortschritte in Richtung einer kernwaffenfreien Welt nicht erreicht worden sind. Die Tatsache, daß alle 189 NPT-Mitgliedsstaaten auf der Konferenz einer gemeinsamen Abschlußerklärung zustimmten, nachdem dies auf der vorangegangenen Tagung im Jahre 2005 im wesentlichen an der damaligen Bush-Administration gescheitert war, könne allein nicht bereits als Erfolg gelten, da die Erklärung über Allgemeinplätze nicht hinaus gehe.
Kritik dieser Art ist nicht neu, und unberechtigt ist sie schon gar nicht, denn der Atomwaffensperrvertrag und das von ihm begründete internationale Regime inklusive der Kontrolle seiner Einhaltung durch die Internationale Atomenergiebehörde (IAEO) weisen von Geburt an gravierende Schwächen auf, an denen sich, seit der NPT 1970 in Kraft trat, nichts Grundlegendes geändert hat. Kein Staat kann letztlich gezwungen werden, sich dem NPT zu unterwerfen, wie an Israel, Indien und Pakistan unschwer zu sehen ist, die dem Vertrag nie beigetreten sind und heute über Kernwaffen verfügen. Nordkorea trat 2003 aus dem NPT aus und besitzt nach eigenem Bekunden nun ebenfalls erste Atomsprengköpfe. Ein weiteres Manko besteht darin, daß der NPT zwar die Zielstellung einer atomwaffenfreien Welt formuliert, aber bindende Vorgaben für die fünf offiziellen Atommächte (USA, Rußland, Großbritannien, Frankreich und China) zur Beseitigung ihrer Arsenale nicht enthält. Und um eine dritte Schwachstelle des NPT-Regimes zu markieren: Obligatorische unangekündigte Verdachtskontrollen in nukleartechnischen Anlagen der 184 NPT-Mitgliedsländer, die keinen Kernwaffenstatus tragen, darf die IAEO nach wie vor nicht durchführen. Das läßt Möglichkeiten zum heimlichen Überschreiten der nuklearen Schwelle offen.
Andererseits sind der von Kernwaffen ausgehende Schrecken und die ihnen innewohnende Bedrohung der menschlichen Existenz seit Hiroshima und Nagasaki sowie durch die weltweit mehr als 2.000 Kernwaffenversuche – hunderte davon oberirdisch – keine nurmehr theoretischen Annahmen. Das hat die internationale Staatengemeinschaft überhaupt dazu veranlaßt, den militärischen Umgang mit dem Atom vereinbarten Regularien zu unterwerfen und eine immer weitere Verbreitung von Kernwaffen unterbinden zu wollen. Natürlich wäre die Antwort auf die Frage, wie die Welt ohne 40 Jahre NPT-Regime heute aussähe, spekulativ. Aktenkundig ist aber, daß Staaten wie Südafrika, Brasilien, Argentinien, Ägypten, Libyen u.a. in den vergangenen Jahrzehnten heimliche Kernwaffenforschungs- und –entwicklungsprogramme betrieben und dann aufgegeben haben. Aktenkundig ist auch, daß heute etliche nukleare Schwellenländer existieren, die von ihren wissenschaftlichen, technologischen und wirtschaftlichen Voraussetzungen her jederzeit Kernwaffen herstellen könnten. Dazu zählt neben Japan, Taiwan und Südkorea nicht zuletzt auch die Bundesrepublik. Und aktenkundig ist schließlich, daß über die Jahrzehnte die Idee kernwaffenfreier Zonen auf der Grundlage entsprechender regionaler Abkommen immer mehr Parteigänger gewonnen hat. Solche Zonen existieren heute in der Antarktis, Zentral- und Südamerika (33 Staaten), Südostasien (10 Staaten) und im Südpazifik (13 Staaten). Im März 2009 kam Zentralasien hinzu, wobei die fünf Mitgliedsstaaten dieser Zone besonderen Sinn für Symbolik bewiesen – sie schlossen den entsprechenden Vertrag in Semipalatinsk ab, in jener Stadt, die als Synonym für das Hauptatomtestgelände der Sowjetunion auf dem Gebiet Kasachstans steht. Dort wurden zwischen 1949 und 1989 fast 500 Atomtests durchgeführt. Und das jüngste Beispiel ist die Atomwaffenfreie Zone Afrika; der Vertrag wurde zwischen 52 Staaten im Juli 2009 abgeschlossen und ist bereits in Kraft, da die Mindestzahl von 28 hinterlegten Ratifikationsurkunden bereits erreicht wurde.
Gemessen an möglichen Alternativen ist die Bilanz von 40 Jahren NPT also beachtlich. Das gilt auch für die seit Ende des Kalten Krieges zu verzeichnende Reduzierung der Atomwaffenarsenale der nuklearen Supermächte USA und Rußland. Trotzdem ist die Perspektive einer kernwaffenfreien Welt alles andere als in greifbarer Nähe. Und die jetzige Konferenz in New York gibt leider Anlaß zum Zweifeln, etwa ob die Widerstände auf dem Weg dorthin in den nächsten Jahren oder ob sie überhaupt überwunden werden können. Vor allem das zwiespältige Agieren der USA vor und hinter den Kulissen wirft einmal mehr die Frage auf, wie ernst es Präsident Barack Obama tatsächlich mit seiner am 9. April 2009 in Prag verkündeten Vision ist. Einerseits hat Washington die jetzige Abschlußerklärung von New York mit unterzeichnet, in der die Wichtigkeit eines Beitritts Israels zum NPT unterstrichen und in der für 2012 eine Konferenz über eine masservernichtungswaffenfreie Zone im Nahen und Mittleren Osten auf die Tagesordnung gesetzt wird. Andererseits hat Washington auf die sofort erfolgte Ablehnung durch Israel nicht nur nicht reagiert, sondern Obama selbst stellte Tel Aviv quasi einen Freifahrtschein aus, als er erklärte: „Wir lehnen es entschieden ab, … daß Israels nationale Sicherheit in Gefahr gerät.“ Ebenfalls in der Abschlußerklärung wird Pakistan zum NPT-Beitritt aufgefordert. Diesem Land gegenüber hatte ebenfalls Obama selbst erst im April erklärt, die USA hegten „keine finsteren Absichten gegen das Atomprogramm Pakistans“. Glaubwürdige Politik hört sich anders an.
Was die unbefriedigenden Ergebnisse von New York anbetrifft, so griffe es allerdings zu kurz, allein auf die USA zu verweisen. Die fünf offiziellen Atommächte haben dort zwar einerseits in allgemeiner Form zugesagt, die Verkleinerung ihrer Kernwaffenarsenale zu beschleunigen und dazu 2014 einen Fortschrittsbericht vorzulegen. In seltener Eintracht haben sie aber andererseits zugleich verschiedene Anliegen praktisch sämtlicher anderen NPT-Mitgliedsstaaten blockiert – nämlich in die Abschlußerklärung einen konkreten Zeitplan für die nukleare Abrüstung der fünf, quasi als Verbindlichmachung von deren diesbezüglicher Zusage gemäß Art. VI des NPT, aufzunehmen oder auch nur die Verpflichtung zum Beginn von Verhandlungen über eine Konvention zum weltweiten Verbot von Atomwaffen. Im Übrigen werden auch die taktischen Kernwaffen, für deren Abzug aus Deutschland sich die Bundesregierung nach eigenem Bekunden in New York stark machen wollte, in der Abschlußerklärung der Konferenz nicht erwähnt.
All diese Sachverhalte geben natürlich keine Veranlassung, von der nächsten NPT-Überprüfungskonferenz im Jahre 2015 grundlegend gehaltvollere Ergebnisse zu erwarten. In Resignation und Verzweiflung sollte man deswegen allerdings nicht verfallen, sondern sich – allein schon mit Blick auf die Kinder und Enkel – besser an die Luther zugeschriebene Maxime halten: „Wenn ich wüßte, daß morgen der jüngste Tag wäre, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen.“
Schlagwörter: Atomwaffen, NATO, NPT, Wolfgang Schwarz