von Hartmut Pätzke
Lothar Lang (*1928) hält Rückschau, besonders auf seine Erfolge im Umgang mit Kunst und Künstlern in Berlin, Dresden und Leipzig, aber auch mit Außenseitern wie Gerhard Altenbourg (1926-1989) in Altenburg und Carlfriedrich Claus (1930-1998) in Annaberg. Lang sieht sich selbst als „Quereinsteiger“, als „etablierter Außenseiter“ ist er zum Historiker der Buchillustration der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts geworden. In Altenburg hatte bald nach dem Kriege sein Weg zum Lehrer begonnen, der ihn im Kunstkabinett des Instituts für Lehrerweiterbildung in Berlin-Weißensee und Pankow zum Titel eines Studienrates führte. Als Kunstkritiker der „Weltbühne“ (1957-1991) und als Redakteur der „Marginalien“ (1964-1998) verfügte er über beträchtlichen Einfluß. Ein außerordentlicher Meilenstein seines Wirkens war die „Kabinett-Presse“ in den sechziger Jahren. Und in den achtziger Jahren war er, gemeinsam mit Hans Marquardt, Herausgeber der Edition der Mappenwerke des Reclam-Verlages. Außer der Gründung der Exlibris-Sammlung im Staatlichen Museum Schloß Burgk vertrat er die Exlibris-Sammler auch auf den internationalen Kongressen der FISAE, deren Gründungsmitglied die Pirckheimer-Gesellschaft 1966, vertreten durch Prof. Dr. rer.pol. Bacc. jur. Ernst Kaemmel, in Hamburg geworden war. 1982 war er in Oxford zum Präsidenten gewählt worden, um das internationale Treffen 1984 in Weimar mit Hilfe des Kulturbundes der DDR auszurichten. Reisen ins Ausland als Autor sowohl des Henschelverlages als vor allem des Eulenspiegel Verlages als auch des Verlages Edition gewährten ihm einen beträchtlichen Vorsprung in der Anschauung der Originale der zeitgenössischen Weltkunst. Wenn Lang auch Mitte der sechziger Jahre in einem Gremium des Verbandes Bildender Künstler Deutschlands „geschlachtet“ werden sollte, wie sich ein befreundeter Kunsthistoriker erinnert, fast aus der SED herausgeschmissen wurde (Willi Sitte privatim anläßlich des 60. Geburtstages L.L.s: „Und Dich hätten wir fast aus der Partei herausgeschmissen“), ist ihm das Vertrauen zu keiner Zeit gänzlich entzogen worden.
Sein Buch „Malerei und Graphik in der DDR“, zuerst bei Edition, dann in der preiswerten Reclam-Ausgabe, stärkten seinen Ruf. Zwar heißt der Titel des Buches: „Ein Leben für die Kunst“, aber aus diesem „Leben“ erfährt der Leser nur wenig. Fast, scheint mir, will Lothar Lang den Eindruck erwecken, als sei er in seinem Tun und Lassen eigenständig, ja unabhängig gewesen. Vielleicht hat er sich wirklich nicht in jedem Fall mit jemand Maßgebendem direkt beraten, aber er kannte die Verhältnisse zu gut, um nicht da oder dort wenigstens zu fragen, ob dies oder das genehm wäre. Für die „Marginalien“ zumindest hatte er Bruno Kaiser (1911-1982), Vorsitzender der Pirckheimer-Gesellschaft 1956-1981, als klugen Ratgeber. In den achtziger Jahren genoß er das außerordentliche Vertrauen und Wohlwollen des Ministers für Kultur, Hans-Joachim Hoffmann (1929-1994). Lang gesteht, daß er „kein Oppositioneller gewesen“ ist.
Als Lang Direktor im Schloß Burgk wurde und es aus der Zuständigkeit des Kreises Schleiz in die Verantwortung des Ministeriums für Kultur zum „Staatlichen Museum Schloß Burgk“ erheben konnte, blieben ihm alle Pfründen, die ihm zuvor zugestanden worden waren.
Die Bilanz, die Lothar Lang zieht, über die Jahre der DDR hinaus, ist für ihn sehr erfolgreich. Jedoch schon die „Ostdeutsche Malerei und Graphik“ (Faber & Faber 2005), war, entgegen allen positiv bestellten Rezensionen, nicht auf ihre wunden Stellen hin auch nur andeutungsweise betrachtet worden. Das neue Buch hätte vor der Drucklegung eingehender Durchsicht bedurft. Das Personenregister ist einfach eine Katastrophe. Fast ein halbes Hundert Namen, die im Text genannt sind, fehlen. Einige erscheinen doppelt, in unterschiedlicher Schreibweise, manch Künstler wie Cranach, unter seinem Vornamen, Lucas. Von den Genannten sind längst nicht alle Seiten im Register verzeichnet. Text und Register haben, auch für bedeutende Namen, falsche, für mindestens zwölf Namen trifft das zu, zum Teil entstellende Schreibweisen. Daß der Vorname des gerade verstorbenen Rupprecht Geiger (1908-2009) nur mit einem p geschrieben ist, zählt zu den eher geringen Sünden. Schwieriger ist es, wenn aus dem bedeutenden österreichischen Exlibriskünstler Alfred Coßmann ein Alfred Gossmann wird., aus dem letzten Chefredakteur zu DDR-Zeiten der „Bildenden Kunst“, Bernd Rosner, ein Bernd Rössner wird, aus dem für die Kunst aus der DDR wichtigen Kunsthistoriker Martin Damus ein Martin Demus. Dem Kunstkritiker L.L. scheint der Maßstab für Solidität und Zuverlässigkeit, worauf Bruno Kaiser für die „Marginalien“ und auch sonst so großen Wert legte, abhanden gekommen zu sein.
Lothar Lang schwelgt geradezu in Begegnungen mit Künstlern außerhalb der DDR. Zu Jules Pascin (Julius Pinkas, 1885-1930), auf dessen Spuren er war, lesen wir doch lieber und weit mehr bei Ilja Ehrenburg in dessen monumentalem Erinnerungswerk „Menschen, Leben, Jahre“. Direkt begegnete der Autor Philippe Soupault (1897-1990) und dessen Frau Ré Soupault (1901-1996) in Paris. Er erwähnt nicht, daß 1989 im Kiepenheuer Verlag in Leipzig und Weimar „Bitte schweigt“, Gedichte und Lieder 1917-1986 des Franzosen, erschienen sind, übertragen von Roland Erb, obgleich diese Ausgabe ein Nachwort von Alain Lance trägt, auf den ihn Volker Braun aufmerksam gemacht hatte und durch den er die Soupaults erst kennengelernt hat. Abgeschrieben scheint mir jedoch aus dieser Publikation zu sein, daß Heinrich Mann (1871-1950) zur Ausgabe von „Der Neger“ im J.M. Spaeth Verlag Berlin ein Vorwort geschrieben hat. Es handelt sich jedoch um ein fast 40seitiges Nachwort.
Manchen sehr lapidar hingeworfenen Bemerkungen vermag ich mich nicht anzuschließen, wie z. B: „Für ein unabhängiges Denken war das intellektuelle Klima in der DDR in den fünfziger Jahren durchaus günstig.“ Selbstkritik übt er in geringen Dosen. Wie stets verschweigt er seine erste Publikation, die 1954 im Kongreß Verlag erschien: “Kosmopolitismus und ‘amerikanische Lebensweise’: Todfeinde nationaler Kultur“, worin er in der Parteinahme mit denen in den kulturpolitischen Gefilden damals übereinstimmte, denen er heute seinen Groll hinterherschickt. Lang war im Dezember 1945 der Kommunistischen Partei Deutschlands beigetreten, somit ein „alter Genosse“ in späteren Jahren.
Daß „Begegnungen im Atelier“, die 1975 im Henschelverlag erschienen, dort mit aussagekräftigen Porträtphotos versehen, nun leicht erweitert, noch einmal in diesem Buch, ein halbes Hundert Seiten als quasi Anhang haben füllen müssen, erscheint mir überflüssig.
Für Kunstinteressierte, denen der Autor Lothar Lang erstmals begegnen sollte, sei gesagt, daß das Buch relativ flüssig zu lesen ist. Zwischenüberschriften zu den einzelnen Künstlerporträts besonders, wären informativ und hilfreich. Zur Aufklärung der Kunstverhältnisse in der DDR kann es jedoch leider nicht als kritisches Moment beitragen, weil die Erfolgsserie des Kunstpublizisten und Kunstkritikers, des Sammlers (ca. 4000 Blatt Graphik), des Museumsmannes, des Organisators, das nicht zulässt. Einige Einsichten, wie zum Exodus so vieler Künstler aus der DDR, kommen zu spät. In Freienbrink und darüber hinaus führte er ein großes Haus. Ausgewählte Künstler und Kulturschaffende begegneten dort einander. Leider vermag der im neunten Jahrzehnt Stehende nicht, sich einiger, eigentlich nicht zu vergessender Menschen, zu erinnern, die ihm treu und dienend über viele Jahre zur Seite standen.
Aufschlußreich ist das Buch für das Phänomen Lothar Lang, den unermüdlichen Autor, den Rastlosen. Wohl ist immer noch in seinem Kopf, was er vor weit über zwanzig Jahren einmal äußerte: „Von uns bleibt nur, was wir geschrieben.“
Lothar Lang: Ein Leben für die Kunst. Erinnerungen. Faber & Faber Verlag GmbH Leipzig 2009, 335 Seiten, mit zahlreichen Abbildungen, 19,90 Euro
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