13. Jahrgang | Nummer 9 | 10. Mai 2010

Am Apparat

von Henryk Goldberg

Am Apparat. Schade, das höre ich jetzt wohl nie mehr. Das Telefon klingelte und dann tönte aus dem Nebenzimmer dieses wunderbare Am Apparat. Und wenn ich Glück hatte, dann schwieg der Unsichtbare am anderen Ende der Leitung, womöglich war er verblüfft, den Erwünschten tatsächlich am Apparat zu haben. Und der sagte dann, an der mir akustisch zugänglichen Seite des Fernsprechapparates, mit so einem forschend-fragenden Tonfall: Teilnehmer?. Das war wirklich immer toll. Teilnehmer?. Und in einer wehmütigen Vision sah ich dann das Fräulein vom Amt den Stecker in die Tafel vor ihr stöpseln. Der Kollege, dem ich diese schönen Augenblicke lange Jahre zu danken hatte, arbeitet nicht mehr hier.

Manche Worte erscheinen uns wie goldlackiert, wie die Nierentische des Gehirns. Sie sind wie alte Porzellanteller, wie die gepunkteten und im übrigen ziemlich blöden Tassen, die man sich in den Schrank stellt, weil sie schon bei der Großmutter auf dem Tisch standen und Sicherheit und Wärme verströmten.

Es ist ein Reiz von der Art, die eine Oldtimer-Ralley auf uns ausübt oder die glänzend lackierten Autos in nostalgischen Filmen, den Kraftwagen mit Trittbrett und Winker und dem Ersatzrad auf dem Kofferraum. Oder das Radio mit dem guten alten magischen Auge. Nur, daß wir mit diesen Autos im Alltag nicht fahren und mit diesem Radios nicht hören wollten. Die Federung ist nur faszinierend bei der einstündigen Sonderfahrt und das Rauschen der alten Platten ist ein Reiz von beschränkter Dauer.

Doch wenn einer diese alten Worte aus dem Schrank holt und sie gebraucht, als wären sie neu, dann zeugt das womöglich von einem inneren Beharrungsvermögen gegenüber dem Geist der Zeiten und es berührt uns anders. Eine mir bekannte, und auch schon als erwachsen geltende Dame wurde kürzlich von einem mir unbekannten älteren Herrn gefragt, ob sie denn einen Kavalier habe. Er hätte auch fragen können, ob ihr denn ein Herr den Hof mache. Und wenn sie ein wenig jünger wäre, dann hätte sie womöglich entgegnet, ja, aber sie kenne den Mann nicht, den die Hausverwaltung zum Reinigen schickt. Und dann wäre dem wohlmeinenden alten Herrn wohl ganz blümerant geworden, weil die Dame offenkundig keine Einladungen zum Rendevouz erhält. Irgendein Verehrer, hätte er dann vielleicht gedacht, könnte sie doch wenigstens einmal in ein Lichtspieltheater ausführen, und ein wenig um sie werben. Schließlich, sie hat doch ganz schön Holz vor der Hütte. Aber vielleicht geniert sie sich ja auch, weil ihre Aussteuer schon ein wenig gebraucht erscheint und eine weitere Mitgift ist wohl auch nicht vorgesehen.

Auch Wörter haben ein Verfallsdatum, was wir nicht in jedem Falle betrauern wollen. Die Entzugserscheinungen gegenüber der Masseninitiative zum ökonomisch-kulturellen Leistungsvergleich sind nicht wirklich schmerzhaft, und mit dem Verlust des VEB IFA-Vertrieb haben wir uns so einigermaßen abgefunden, es gibt auch kaum noch Kampfprogramme zur ihrer Rückgewinnung.

Vielleicht nehme ich einmal Kontakt mit dem eingangs erwähnten Herrn auf und frage, fernmündlich natürlich, mit getarnter Stimme ob ich Herrn L. sprechen könnte. Und er wird antworten, nachdem er den Hörer von seinem Fernsprecher abgehoben hat: Am Apparat, und wenn ich dann schweigend warte, dann werde ich es hören, dieses wunderbare, fragende: Teilnehmer?. Kann aber auch sein er ist im Urlaub und die coole Stimme eines unbekannten Teilnehmers läßt wissen The person you have called is temporarary not available. Dämliches Ausländischgetue. Und melancholisch werde ich der guten alten Zeit gedenken und den Hörer auflegen mit einem traurigen Fuck!