von Wolfgang Schwarz
Laut geltendem EU-Verhaltenskodex für Rüstungsexporte sollten Lieferungen militärischer Güter in Spannungsgebiete mit offener oder latenter Kriegsgefahr ebenso ausgeschlossen sein wie in Länder, in denen die Menschenrechte und Grundfreiheiten verletzt werden oder in denen bewaffnete Konflikte stattfinden. Der NATO-Partner Türkei erfüllt alle drei Kriterien, aber dessen ungeachtet stand er im Zeitraum von 2005 bis 2009 mit 13 Prozent Anteil an den deutschen Rüstungsausfuhren auf Platz zwei unter den Empfängerländern – nur noch übertroffen von Griechenland (14 Prozent). Dabei hat die Bundesrepublik ihren Weltmarktanteil bei Rüstungsgütern von sechs Prozent im vorangegangenen Beobachtungszeitraum (2000 – 2004) auf elf Prozent nahezu verdoppelt. So gingen von 2005 bis 2009 zum Beispiel 1.700 Leopard-Panzer ins Ausland, und insgesamt erhielten rund 50 Staaten Waffen und andere militärischen Ausrüstungen Made in Germany. Das besagen die vom Stockholmer Internationalen Friedensforschungsinstitut (SIPRI) am 15. März publizierten neuesten Zahlen zum weltweiten Handel mit militärischen Gütern. Grund genug, das Thema erneut aufzugreifen (1).
Laut SIPRI steht die Bundesrepublik weiterhin an dritter Position im Ranking der größten Rüstungslieferanten – nach den USA (Weltmarktanteil: 30 Prozent) und Rußland (23 Prozent). Daß das SIPRI dabei mit seinen Angaben regelmäßig über den „offiziellen“ Zahlen der Bundesregierung – ausgewiesen in den jährlichen Rüstungsexportberichten – liegt, erklärt sich vor allem daraus, daß die Stockholmer Friedensforscher auch Kompensationsgeschäfte und den Handel mit ausgemusterten Bundeswehrausrüstungen sowie „Geschenke“ wertmäßig abschätzen und in die Statistik mit einbeziehen. Schließlich bleiben Leopard-Panzer auch dann Kriegswaffen, wenn sie nicht mehr bei der Bundeswehr eingesetzt, sondern an Dritte-Welt-Staaten geliefert werden.
Zu den größten außereuropäischen Empfängerländern deutscher Rüstungsgüter im Zeitraum von 2005 bis 2009 zählten Südkorea, Südafrika, Israel, Malaysia und Singapur. Weitere Empfängerländer waren unter anderem die seit Jahrzehnten in Konfrontation zueinander stehenden Staaten Indien und Pakistan sowie China und Taiwan, aber auch der Iran erhielt Panzermotoren. Malaysia zum Beispiel erwarb im vergangenen Jahr zwei Meko-200-Fregatten. An Singapur gingen 40 Leopard-2-Panzer. Insgesamt machten Kriegsschiffe wertmäßig 44 Prozent der deutschen Rüstungsexporte aus. Geradezu als Exportschlager gelten dabei U-Boote vom Typ 214 der zum ThyssenKrupp-Konzern gehörenden Howaldtswerke-Deutsche Werft (HDW), die mit ihrem Brennstoffzellenantrieb als modernste konventionelle U-Boote der Welt gelten. Der Stückpreis liegt bei mehr als 400 Millionen Euro. Von den 36 Staaten, die derzeit nicht-atomare U-Boote im Einsatz haben, verfügt heute mehr als die Hälfte über Schiffe deutscher Herkunft. Der zweite „Umsatzbringer“ waren Panzerfahrzeuge mit 27 Prozent.
Daß ausgerechnet Griechenland an der Spitze der Empfängerländer deutscher Rüstungsgüter steht, entbehrt nicht einer gewissen Pikanterie. Das Land, das mit einer existentiellen Krise seiner Staatsfinanzen kämpft, deren negative Auswirkungen auf die gesamte Euro-Zone noch gar nicht abschließend einzuschätzen sind, leistet sich, getrieben vom Konflikt mit der Türkei wegen der Zypernfrage und strittiger Grenzverläufe in der Ägäis, seit Jahren einen der im Vergleich zum Bruttosozialprodukt des Landes größten Militäretats in der EU. Laut SIPRI steht das Land weltweit auf Rang fünf der Rüstungsimporteure – nach China, Indien, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Südkorea. Zu den größten griechischen Bestellungen in der Bundesrepublik zählten in den letzten Jahren 170 Leopard-2A6-Kampfpanzer im Gesamtwert von 1,7 Milliarden Euro.
Bei der Vorlage der jüngsten SIPRI-Zahlen warnte Paul Holthom, Leiter des Forschungsbereiches „International Arms Transfer“ des Institutes, zugleich davor, daß durch Rüstungsexporte regionale Rüstungswettläufe stimuliert würden. Die diesbezügliche Wirkung der Lieferung insbesondere von Großwaffensystemen beschrieb der Wissenschaftler folgendermaßen: „Die Reaktion von Rivalen aus der jeweiligen Region bestand dann darin, ebenfalls zu bestellen.“ Ein Beispiel? Nachdem Griechenland in absehbarer Zeit vier U-Boote vom Typ 214 in Dienst stellen wird und in den nächsten Jahren zwei weitere erhalten soll, orderte die Türkei im vergangenen Jahr ebenfalls Schiffe dieses Typs – sechs Stück. Der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir äußerte dazu dieser Tage: „Es ist absurd, daß wir uns eine goldene Nase dabei verdienen, wie wir zwei NATO-Mitglieder gegeneinander hochrüsten.“ Was Özdemir geflissentlich überging: Diese Absurdität haben nicht zuletzt die Grünen zu verantworten, denn die Weichen für den U-Boot-Deal mit Griechenland wurden in den Jahren 2000 bis 2002 gestellt. Damals regierte Rot-Grün, der Bundesaußenminister hieß Joseph Martin Fischer und war Mitglied des Bundessicherheitsrates, in dem die Entscheidungen über Rüstungsexporte getroffen werden.
Özdemirs Grünen-Co-Chefin, Claudia Roth, kommentierte die Verdoppelung des deutschen Weltmarktanteils bei Rüstungsexporte dahingehend, „daß wir in Deutschland eine viel stärkere Rüstungskontrolle und schärfere Kriterien für den Waffenexport brauchen“, und forderte, der Bundestag müsse, „wie es in anderen Ländern und Parlamenten Standard ist, endlich das Recht bekommen, die Bundesregierung in Sachen Rüstungsexporte zu kontrollieren“. Diese Forderung ist mehr als begründet, allerdings haftet auch ihr – aus dem Munde einer führenden Grünen – ein Touch von „Haltet den Dieb!“ an.
Angesichts der Rüstungsexportpraxis der wechselnden Bundesregierungen seit dem Jahr 2000 bleibt eine Einschätzung des Friedensforschers Hans J. Gießmann aus dem Jahre 1999 höchst aktuell. Gießmann hatte verfassungsrechtliche Bedenken angemeldet, denn Artikel 26 des Grundgesetzes, Absatz 2 postuliert: „Zur Kriegführung bestimmte Waffen dürfen nur mit Genehmigung der Bundesregierung hergestellt, befördert und in Verkehr gebracht werden.“ Diese Festlegung interpretierte Gießmann zutreffend als „Verbot mit Erlaubnisvorbehalt“ und attestierte bereits der damaligen Rüstungsexportpraxis eine Umkehrung des Verfassungspostulats, da „in der Wirklichkeit nicht mehr die Genehmigung, sondern das Verbot als Ausnahme (erscheint)“. Gießmanns Schlussfolgerung allerdings – „Die Debatte um Rüstungsexporte muss vom Kopf auf die Füße, d. h. auf den Boden des Grundgesetzes gestellt werden …“ (2) – harrt nach wie vor ihrer praktischen Umsetzung.
1 – Siehe auch: Wolfgang Schwarz, Freie Fahrt für Rüstungsexporte, in: Das Blättchen, Nr. 1 v. 18. Januar 2010
2 – Hans J. Gießmanns Ausführung sind im Wortlaut dokumentiert in: Frankfurter Rundschau, 1.12.1999 und finden sich auch im Internet (http://www.ifsh.de/dokumente/artikel/waffen.htm).
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