13. Jahrgang | Nummer 9 | 10. Mai 2010

Symbole

von Hermann-Peter Eberlein

Aygül Özkan hat völlig recht: Christliche Symbole gehören nicht in staatliche Schulen. Das liegt in der Konsequenz des sogenannten Kruzifix-Urteils des Bundesverfassungsgerichtes aus dem Jahre 1995. Daß die Äußerung der muslimischen Ministerin sofort einen Aufschrei in ihrer eigenen Partei (und bei den großen Kirchen) auslöste, zeigt, wie ungeklärt das Verhältnis zwischen Staat und Kirche in unserem Lande immer noch ist – und zeigt, in welche Richtung es sich verändern muß.

Frankreich ist ein laizistischer Staat mit einer radikalen Trennung von Staat und Kirche (abgesehen vom Elsaß) und damit einer völligen Privatisierung der Religion. Deutschland ist ein weltanschaulich neutraler Staat, jedoch mit einem besonderen Verhältnis zu den großen Kirchen, die als Körperschaften öffentlichen Rechtes anerkannt sind und im öffentlichen Raum Privilegien genießen. Das ist historisch erklärbar und hat für Staat und Gesellschaft durchaus positive Seiten: der Staat kann sicher sein, daß die öffentlich praktizierte Religion nicht in ein obskures Abseits abdriftet, die Kirchen bleiben gesellschaftskonform (bis hin zu staatshörig), die Theologie – betrieben zumeist an staatlichen Universitäten – ist gezwungen, sich mit den geistigen Strömungen der Zeit auseinanderzusetzen, gesellschaftliche und kirchliche Moral driften nur im Bereich der Sexualethik wesentlich auseinander (und das auch nur im katholischen Bereich). Dafür entsenden die Kirchen als gesellschaftlich relevante Gruppen Pfarrer in Rundfunkräte, kirchliche Kindergärten und Krankenhäuser werden im Rahmen des Subsidiaritätsprinzips vom Staat finanziell großzügig unterstützt, weil sie öffentliche Aufgaben wahrnehmen, Pastoren erteilen Religionsunterricht an staatlichen Schulen und gewinnen dadurch Einfluß auf die nachwachsende Generation.

Doch mittlerweile – die Kruzifix-Diskussion beweist es – ist dieses System in die Krise geraten. Die großen Kirchen verlieren rasant an Glaubwürdigkeit und (was schwerer wiegt) an Mitgliederzahl; kleinere religiöse Gruppen und die als Vereine organisierten Muslime, die ohne staatliche Kontrolle und Bevormundung agieren, fordern ihren Platz im öffentlichen Raum. Der kann ihnen so leicht nicht gewährt werden – es sei denn, sie ließen sich auf Regeln ein, denen sich die großen christlichen Kirche unterworfen haben: staatliche Ausbildung ihrer Religionslehrer, staatliche (wenn auch im Konsens erstellte) Lehrpläne für den an staatlichen Schulen erteilten Religionsunterricht, teilweise staatliche Kontrolle der Finanzen, staatliche Mitwirkung bei der Ernennung der obersten geistlichen Würdenträger. Solcherart Einflußnahme werden weder die Zeugen Jehovas noch die Moscheegemeinden akzeptieren wollen – also bleibt nur der andere Weg: der in den Laizismus. Mit sämtlichen Religionsgemeinschaften kann der Staat nicht privilegiert umgehen – also darf er es mit keiner.

Hier nun kommen die Symbole in Spiel. Solange niemand an ihnen Anstoß nahm, konnten sie im herrschenden System als Ausdruck eines gemeinsamen gesellschaftlichen Bewußtseins nicht nur im öffentlichen, sondern auch im staatlichen Raum Platz haben. So wurde das erwähnte Kruzifix-Urteil in der Regel auch praktiziert: das Kreuz wurde abgenommen, sobald jemand seine Entfernung forderte. So könnte man es in der Tat handhaben: in jeder deutschen Schulklasse verlange ein Elternteil die Entfernung religiöser Symbole – und sie werden verschwinden. Die Bevölkerungsentwicklung wird genau dazu führen.

Doch wenn die Entwicklung sowieso in diese Richtung verlaufen wird – warum dann nicht ein Paradigmenwechsel? Warum nicht auf religiöse Symbole in staatlichen Schulen, in Gerichtssälen, in Kasernen generell verzichten? Warum nicht die Militärseelsorge und die Seelsorge in Gefängnissen privatisieren, statt sie staatlich zu alimentieren? Warum nicht den großen Kirche ihre Privilegien nehmen und ihnen die Freiheit schenken? Das wäre ehrlicher – und rechtlich zwar schwierig, aber nicht unmöglich. Die katholische und die evangelische Kirche nämlich müßten sich fragen, was ihnen wichtiger ist: der staatliche Tropf und der öffentliche Einfluß oder die innere Freiheit. Wählten sie ersteres, wäre es um ihre Christlichkeit schlecht bestellt. Der Staat müßte damit leben, daß er auf die gemeinschaftlich gelebte Religion keinen Einfluß mehr hätte. Er könnte nurmehr Grenzen setzen – auch im laizistischen Staat kein leichtes Unterfangen, wie die Kopftuch-Diskussion in Frankreich zeigt. Mindestens aber wäre eine Plattform gewonnen, auf der alle Religionsgemeinschaften (und, nicht zu vergessen, diejenigen, die bewußt keiner angehören) gleich behandelt werden. Und das ist in einer pluralen Gesellschaft unabdingbar.