von Eckhard Mieder
Ich weiß ja, meine Sicht auf die Dinge ist naiv, aber … wäre ich ein Arbeitsloser, ich versänke vor Fremdscham im Boden. Oder ich liefe tagsüber mit einem arbeiterfahnenroten Gesicht durch Deutschaland und läge nachts wach, weil mich ein permanentes Lachen schüttelte. Oder ich stünde als General auf einer Tribüne und ließe die Regimenter der Schwadroneure an mir vorbeiparadieren. Ich winkte huldvoll, wenn all die Maschinisten der Debattiermaschine in Reih und Glied da unten zu mir hinauf riefen: Wir ehren dich, Mann der freien Zeit! Ein Vivat hoch der Arbeitslosigkeit! Oder sie skandierten: Arbeit macht nicht länger frei, freie Zeit ist das Gelbe vom Ei! Gelten ließ ich auch: Kehre bloß nicht ins Arbeitsleben zurück! Zeit zu haben ist des Menschen Glück!
Sie riefen es nicht von Herzen, das wüßte ich wohl. Ich ließ ihnen ja die Sprüche vorher einprügeln, einflößen, ja einknitteln. Ich wollte ja, daß sie an mir vorbeilatschen und gegen ihre Überzeugung jubeln. Damit sie spüren, wie es ist, etwas Wahres zu sagen und an der Lüge stumm zu kauen und zu tragen. Damit sie mich endlich mit ihren Sprüchen verschonten. Und hülfe die sprachliche Gewalt nicht, dann müßten sie zur Zwangsarbeit: Worthülsen schippen, Phrasen mit bloßen Händen in eiskalten Suffixen waschen, Neologismen schleppen, bis sie umpofallan …
Leider, das Leben ist keine Wunschsendung und der Konjunktiv nicht mal eine Möglichkeit. Ich kann ihre Sprüche nicht mehr hören, die wirklichen. Die aus den Zeitungen quellen, die aus den Fernsehschirmen dauerwursteln, die sie sich gegenseitig auf die Zunge schmieren, und mit bissigen Küssen tauschen sie ihre Feindseligkeiten, die im Grunde doch Artigkeiten sind. Nämlich sind sie sich einig in der Verarschung von Millionen Menschen, in der Demütigung, die sie ganzen Völkern gönnen, in der fettigen Arroganz, die ihnen aus allen Knopflöchern tropft, in einer Verheißung, die so hohl ist …
Arbeit ist für alle da! Wachstum sei nicht alles, aber ohne Wachstum sei alles nichts! Das Leben sei nur sinnvoll durch Arbeit! Vollbeschäftigung sei möglich! Und befristet ist besser als gar nichts! Und Kündigungsschutz ham wa doch! Und ich, spricht der Zukunftsforscher, weiß, daß die Gesellschaft komplex und kreativ ist und komplexer und kreativer wird! Was heißen soll: Die Menschen wollen Unsicherheit und Abwechslung und Wechsel! Und wenn du als Gebäudereiniger unterbezahlt bist – na dann gründe eine eigene Firma! Weißte, wir leben nicht mehr in der Industriegesellschaft (das Wort Dienstleistungsgesellschaft ist uns auch abhanden gekommen, war ein Versuch), sondern in der Kommunikationsgesellschaft. Du verstehen, Arbeitsloser, wir kommunizieren jetzt solange, bis jeder kommuniziert, und da kommen hinten dann Brot und Wein raus! Was entscheidend ist! Du mußt nur kucken (und quatschen), Arbeit gibt es immer und für jeden, und mit der Pfandflasche spielen wir Flaschendrehen, und wenn wir dann ganz nackt dastehen, singen wir noch immer das Lied vom lustigen Lumpensammler. Bück dich nach dem größten Mist, sei dir nicht zu schade! Wenn du dann ein Bückling bist, brauchst du den gerade!
Wäre ich ein Arbeitsloser, ich schämte mich für all diejenigen, die mich für blöd halten. Über die Maßen des simplen Anstands für dämlich. Dabei nähme ich mein Schicksal an. Ich wüßte ja, es ist nicht Arbeit für alle da. Es wird nie mehr Arbeit für alle da sein. Es wird sogar noch viel weniger Arbeit für alle da sein, weil der Fortschritt marschiert, weil die Technologien schon heute weniger Menschen brauchen, als noch bezahlt werden. Weil dieser Moloch, an den wir uns selbst verfüttern, ganz gut ohne uns liefe und – hier kommt das Positive, Genosse! – uns sogar eine Chance böte. Die Chance, Zeit zu haben. Die Chance, Lebenszeit zu etwas anderem zu verbrauchen als sie verbrauchen zu lassen von Leuten, die uns einreden, es liegt an dir und mir und an Hänsel und Gretel, und Freiheit ist, wenn man sich selbst ins Knie schießt …
Manchmal wäre ich schon sehr wütend, wenn ich arbeitslos wäre.
Und manchmal kommen die Angestellten der Debattiermaschine den Sätzen ganz nahe. Und besonders ehrlich sind immer die Verantwortlichen von einst, die jetzt als weise gelten, in Talkshows sitzen und Bücher schreiben. Und wir, die wir auch noch diesen Clowns der Debattiermaschine zuhören, meinen fast, sie seien schon immer so gewesen. Als sie General waren, als sie Bundeskanzler waren, als die Generalsekretäre waren. Ein Scheißgedächtnis haben wir, mal ehrlich.
Trotzdem. Manchmal kommen sie diesen Sätzen ganz nahe. Nur ein kleiner Stups noch. Und dann spricht es aus ihnen: Es ist nicht Arbeit für alle da. Wir brauchen wahrscheinlich noch viel weniger Menschen, die arbeiten. Laßt uns endlich gemeinsam nachdenken, was wir mit dem kostbarsten machen, das uns die Technologien und der Fortschritt (oder wie diese Gigantomanie heißt) bieten: Zeit, die wir gewinnen. Sekunden, Minuten, Stunden, Tage, die wir für das eine Leben haben. In denen Besseres zu machen geht als Bruttosozialprodukt, als Krieg, als Umweltverödung, als Meereleeren, als den Planeten aushöhlen …
Aber meistens entkäme ich den üblichen Schwadroneuren der Debattiermaschine nicht, wenn ich arbeitslos wäre. Ich hätte zu tun, diesem Denken zu entkommen, an dem wir alle hängen wie die Nudel an Loriots Unterlippe. Und ich finge dann auch an, wäre ich arbeitslos und hätte keine Zeit zum Denken, von Flexibilität und Globalisierung und Blöder-blöder-Taliban zu schwätzen. Nur so, um mir die Zeit zu vertreiben und einen Schuldigen zu haben. Und ich ließe mich weiter beleidigen und noch ein Scheibchen von meiner unantastbaren Würde abschneiden, jener Würde, die Wahrheit zu geben imstande wäre. Die Wurst kriegt der Hund, die Würde niemand.
Aber ich bin ja nicht arbeitslos. Ich muß mich nicht fremdschämen für die Dummheit der Maschinisten der Debattiermaschine. Außerdem weiß ich ja, meine Sicht auf die Dinge ist naiv.
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