von Hajo Jasper
Niederlagenbedingt ist es bei Linken ziemlich aus der Mode gekommen, sich auf die ehemals so ikonisierten und namensgebenden Geistesheroen ihrer -ismen zu berufen. Außer bei Hardcore-Kommunisten, die von ihrer zur Religion erhobenen Weltanschauung samt deren Göttern nicht lassen können, ist noch immer ein verbreitetes Unbehagen zu besichtigen, wenn man sich auf fundamentale Erkenntnisse von Marx, Engels oder Lenin berufen möchte.
Gut, bei Marx hat sich diesbezüglich grade einiges verändert – sein „Kapital“ ist wieder ein Bestseller. Denn unabhängig davon, daß wohl nur eine sehr übersichtliche Zahl von Interessierten sich in die Mühen eines gründlichen, weil elendig mühevollen Studiums ergehen – daß in diesem Werk die Mechanismen kapitalistischen Produzierens samt deren sozialpolitischen Ableitungen unvergleichlich treffend fixiert sind, bestreiten derzeit nur wenige.
Bei Lenin stellt sich das anders dar. Immerhin war selbiger ja nicht nur Theoretiker. Vielmehr ist es ihm widerfahren, in ziemlicher Urplötzlichkeit jene andere Gesellschaft organisieren zu können/müssen, von der bis dato meist nur vage Ahnungen, Träume oder – nicht selten bizarre – Planspiele handelten.
Daß und warum der historische Großversuch der Sozialismuswerdung erst einmal gescheitert ist, kann und soll hier nicht abgehandelt werden. Vielmehr mag daran erinnert sein, wie Lenin 1916 den in die Blüte gekommenen Imperialismus definiert hat, als „monopolistischen, parasitäreren oder faulenden und sterbenden Kapitalismus“ nämlich. Nun sei auch heute noch Vorsicht angeraten, auf wann man das Sterbedatum jener Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung festzusetzen geneigt ist. Diesbezüglich hatten, wie man weiß, selbst die oben genannten Geistesriesen durchaus irrige Vorstellungen, von ihren mediokren Nachfolgern ganz abgesehen. Daß es allerdings wohl nie zuvor so parasitär zuging in den hochentwickelten Gemeinwesen der Moderne wie heute, ist bei Lichte besehen auch dann offenkundig, wenn die meisten der darin Lebenden gleich dem Wald, den man vor lauter Bäumen nicht sieht, dies offenbar noch immer nicht verinnerlichen.. .
Womit wir via Marx, Engels und Lenin nahezu bruchlos zu einem Klassiker unserer Tage kommen. Einem, dem das Schmarotzertum in unserer Gesellschaft besonders schwer zu schaffen macht: Guido Westerwelle. Nicht, daß ihm die Bezüge als Minister und Abgeordneter, als Parteivorsitzender auch nicht die als Gelegenheitsjurist zu neiden sind, bewahre. Wie dieser vergleichsweise junge Mann aber, der in seinem Leben nie etwas anderes gewesen ist als Politiker, also Verwalter, im Glücksfall auch Gestalter des öffentlichen Lebens, sich derzeit an jenen armen Schweinen abarbeitet, die mangels angebotener oder sittenwidriger Unterbezahlung auf der sozialen Alimentierungsmatte stehen, ist indes von einer Perfidie, die Westerwelle eigentlich ins Guinness-Buch der Rekorde bringen müßte.
„Arbeit muß sich wieder lohnen“, rufts in diesem Kontext aus Westerwelle ebenso beharrlich wie „daß der, der arbeitet, mehr bekommen muß, als der, der nicht arbeitet“. Abgesehen davon, daß dies eine unstrittige Binsenweisheit ist und es darum auch nicht geht sondern darum, daß Erwerbsarbeit als unveräußerlicher Teil der Menschenwürde jedermann möglich ist bzw. – so sie denn zu haben ist – auch menschenwürdig bezahlt wird, lohnt sich ein Blick darauf, was für die Westerwelles unseres schönen Heimatlandes lohnende Arbeit ist, außer jener, für die sie im Hauptberuf eh bezahlt werden.
„Guido Westerwelle hat in der Legislaturperiode 2005 bis 2009 gemäß der veröffentlichungspflichtigen Angaben zu den Nebeneinkünften auf der Website des deutschen Bundestages rund 30 Vorträge gehalten, bei denen er Vergütungen von jeweils mindestens 7000 Euro (Vergütungsstufe 3) erhielt. Mindestens 7000 Euro im Jahr bezog er auch jeweils als Mitglied des Aufsichtsrates des Versicherungskonzerns ARAG, sowie als Mitglied der Beiräte der Deutsche Vermögensberatung AG, der Hamburg-Mannheimer Versicherungs- AG und der Unternehmensberatung TellSell Consulting GmbH. Aufgrund der groben Staffelung der Auskunftspflicht der Bundestagsabgeordneten bezüglich ihrer Nebeneinkünfte in drei Stufen handelt es sich hierbei um Mindestgrößen.“ weiß das in der Regel gut informierte Wikipedia zu berichten, und stochert damit keineswegs im Nebel, denn die Nebenverdienste der MdB´s sind ja auf der Homepage des Bundestages einsehbar, siehe unten. Wie gesagt, hier geht es um Mindestgrößen. Statt 7.000 Euro kommt jeder Betrag in Frage, der darüber liegt, Vielfaches inklusive.
Nu stelle mer uns also mal janz dumm, um mal mit dem Feuerzangenbowle-Professor „Schnauz“, alias Erich Ponto, zu sprechen und denken, lediglich auf ein Beispiel fokussiert, nach. Neben einem so ausfüllenden Dasein als Minister und Parteivorsitzender überhaupt Zeit und Kraft für Nebenämter zu haben, ist eh ein merkwürdig Ding. Immerhin sind leibhaftige politische Entwicklungen ebenso genau zu analysieren wie der Inhalt diverser Akten, Termine für Begegnungen aller Art im In- und Ausland jagen einander förmlich. Und im Wahlkreis muß man sich auch sehen lassen, man will ja wiedergewählt werden. Aber wenn denn nun doch Raum für eine Nebentätigkeit bleibt, so müßte eine gutdotierte wie die, Aufsichtsratsmitglied der Versicherungsgesellschaft ARAG (Stufe 3) zu sein, doch eigentlich bedeuten, in Sachen ARAG voll und ganz im Stoff zu stehen und über alle relevanten Unternehmensabläufe Bescheid zu wissen. Immerhin ist es ja die Aufgabe eines solchen Gremiums, die Geschäftsführung zu überwachen. Davon, daß dies nicht die Kontrolle der Stechuhr meint, mit der ein Aufsichtsratsmitglied das pünktliche Eintreffen der Vorstandsmitglieder protokolliert, darf man sicher ausgehen. Man sehe sich allein einen der jährlichen Geschäftsberichte wie den der ARAG an: Über 80 Seiten endloser Zahlenkolonnen, deren Exegese, wenn sie in gutachterlich-kontrollierender Absicht vorgenommen wird, ein sachkundiges Hineinvertiefen verlangt, das wohl kaum auf der Regierungsbank des Bundestages zu erledigen ist, während Abgeordnete der Opposition reden. Wofür um alles in der Welt bekommen die Westerwelles also dieses Geld? Und wofür, wenn sie eine zweistündige Lobby-Rede bei einem nahestehenden Wirtschafts- oder Politgremium halten? Was anderes ist all dies denn Parasitentum der Extraklasse, längst ohne jede Scham praktiziert, zumal dank der selbstverfaßten Gesetzgebung alles völlig legal daherkommt.
Was anderes als parasitär ist das Gebaren jener, der Westerwelle-Partei so nahen Wirtschafts- und Finanzkreise, die die Folgen ihres selbstgemachten Desasters dem Steuerzahler aufbürden und ansonsten weitermachen wie bisher? Was anderes als parasitär ist das Verhalten jener tausender Steuerhinterzieher – nahezu allesamt aus den Kreisen der Westerwellschen „Leistungsträger“, die ihre Gewinne an der deutschen Steuer und damit an der gesellschaftlichen Allgemeinheit vorbeischleusen?
Was anderes als parasitär ist die permanente manipulative Erzeugung von Konsumwünschen, die den Konsum mehr und mehr als den Sinn unseres Daseins ausgibt – mit dem Erfolg, sich daran eine goldene Nase zu verdienen?
Was anderes als parasitär ist all das legal-kriminelle Spekulantentum, das nicht nur viele Individuen in den Ruin treibt sondern auch schon mal die ganze Welt an dessen Abgrund treibt? Und was anderes als parasitär ist das Mitschmarotzen all jener „Putzerfische“ am Korpus der Schönen und Reichen – viele, viele Journalisten dabei eingeschlossen?
„Da stelle mer uns janz dumm, und da sage mer so:“ erklärt Professor Schnauz, „ Ein Dampfmaschin, dat is eine jroße schwarze Röhr‘, die hat hinten e Loch und vorne e Loch. Dat eine Loch, dat is de Feuerung, dat andere Loch, dat krieje mer später.“ Daß es sich, um in unserem thematischen Bilde zu bleiben, um jenes Loch handelt, aus dem satte Erträge, materielle wie karrierefördernde, fließen, ist sicher keine abwegige Vermutung.
„Spätrömische Dekadenz“? – Mein je, als ob man hinsichtlich der Zustandsbeschreibung dieser Republik noch historische Vergleiche bräuchte…
Dreißig Vorträge der Stufe 3 – also mit einer Vergütung von mindestens 7.000 Euro – hat Herr Westerwelle laut Bundestagsregister 2005 und 2009 gehalten. Setzen wir eben diesen Mindestbetrag an, hat allein das mehr als 210.000 Euro in die Kassen gespült, ob in Guidos Privatportemonnaie oder die der FDP, ist dabei zweitrangig. In der Tat, so lohnt sich Arbeit wirklich. Eine (Beispiel-) Summe, für die jemand, der sich auf einen Job mit einem Stundenlohn von vier Euro – keineswegs der niedrigstmögliche! – einläßt, 18 Jahre arbeiten müßte. Undzwar ohne Dienstwagen samt Chauffeur, ohne permanente Versorgung bei Tagungen, Empfängen und Wohltätigkeitsbällen etc., pp.
Soviel zum eigentlichen Schmarotzertum unserer Tage und wohlgemerkt – lediglich auf einen ihrer Protagonisten bezogen, und auch bei dem keineswegs auf vertiefende Weise.
„Wirf den Bankier, wie du willst: er fällt immer auf dein Geld“, hat Tucholsky so schön gesagt. Man kann aber genauso gut mit Politmanagern werfen, der Erfolg ist der gleiche, jedenfalls mehr als nur oft …
Weitere Details unter:
http://www.bundestag.de/bundestag/abgeordnete/bio/W/westegu0.html
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,druck-680996,00.html
Schlagwörter: Guido Westerwelle, Hajo Jasper, Nebeneinkünfte