von Amira Hass
Das Jahr 2009 war vom Standpunkt der Sicherheit für die Israelis das Ruhigste und für die Palästinenser das Gewalttätigste, hinsichtlich der Angriffe von Seiten der Siedler in der Westbank.“ Als er dies gerade gesagt hatte – als ein Beispiel für die Absurditäten, die die politische Situation charakterisieren –, empfängt der palästinensische Landwirtschaftsminister Ismail Daiq einen Anruf aus dem Jeniner Distrikt: fünf artesische Brunnen im Dorf Daan seien an diesem Morgen zerstört worden. Eine Person sei beschossen worden und am Unterleib verletzt worden, als er versuchte, die Pumpe zu heben, um sie vor Schaden zu bewahren. Dies war kein Angriff der Siedler, sondern ein Überfall der Armee.
Und dies war nicht das einzige Routineereignis am Mittwoch, den 24. Februar. Die Verhandlungsabteilung der PLO sammelt täglich aus allen Distrikten der besetzten Gebieten (Gaza und Westbank und Ost-Jerusalem) und veröffentlicht in einem täglichen Situationsbericht durch die Palästinensischen Monitorgruppe. Um der Zweckmäßigkeit willen, werden die einzelnen Vorfälle kategorisiert und dann die Details jedes Distriktes aufgezeichnet.
An diesem Mittwoch sind es 212 Vorfälle, die mit der Besatzung zu tun haben und über die berichtet wird. Die Beispiele schließen ein: vier physische Überfälle, die sich in der Westbank zutragen und Zivilisten einschließen, die in Nablus und Jerusalem geschlagen werden; ein verletzter Zivilist in Daan; acht militärische Angriffe mit Schießerei (2 in Gaza, zwei bei Überfällen und einer kam von einem militärischen Außenposten; 39 Armeeüberfälle (einer in Gaza), 28 Festnahmen und 12 Verhaftungen an Checkpoints und in Wohngebieten. Die Beispiele auf der Checkliste schließen Wohnungszerstörungen ein (keine an diesem Tag), Zerstören von landwirtschaftlich genütztem Land (eine im Gazastreifen) und der Weiterbau an der Trennungsmauer (an 22 Stellen).
Der Bericht schließt Zerstörungen von Eigentum ein (sieben Fälle, einschließlich Zerstörung von Brunnen und Ernte); Checkpointschließung (acht Fälle an fünf Checkpoints, einschließlich von Behinderungen des Durchganges); mobile Checkpoints (23), vollkommene Absperrung von Zugangsstraßen zu Dörfern (7); Schließung von Hauptstraßen (40, einschließlich vier nach Bethlehem und 14 nach Hebron und das Dorf Jaba östlich von Ramallah; Schließung von Hauptkreuzungen (4, einschließlich der Dauerblockade von Gaza) Unterbrechungen des Schulunterrichts (3 Fälle, einschließlich des Werfens mit Tränengaskanistern; Gewalt von Seiten der Siedler ( ein Fall in Sheik Jarrah; Demonstrationen (eine in Hebron) ; die Checkliste schließt auch palästinensische Angriffe ein (keine an diesem Tag).
Die Philosophie hinter dem Situationsbericht ist klar. Ein Vor/Unfall ist nicht nur ein Todesfall, ein Angriff/Überfall, Schusswechsel oder Zerstörung. Es ist etwas, das ständig Schaden anrichtet, es ist die Politik der Absperrungen, des Mauerbaus, der ständigen Blockade des Gazastreifens. Aber selbst ohne diese auf die Besatzung bezogenen Probleme – der größte Teil dieser Vorfälle wird der Mehrheit der Israelis nicht bekannt gemacht.
Keine Statistik kann die emotionalen und sozialen Leiden ausdrücken, die jeden Vorfall oder Non-event begleiten, wie zum Beispiel die Gefängnishaltung von 1,5 Millionen Menschen innerhalb des Gazastreifens oder die Tatsache, dass Zehntausende nicht in der Lage waren, sich das Haus wieder aufzubauen, das während des israelischen Angriffes im Winter 2008/ 2009 zerstört wurde. Auch ohne zu fragen, kennt man die Gründe für die Zerstörung der Brunnen im Jenin-Distrikt: sie wurden „ohne Genehmigung“ gegraben. Aber der Souverän, der zerstört, ist auch derjenige, der die Wasserressourcen kontrolliert, und der über die ungleiche Verteilung des Wassers zwischen Palästinensern und Israelis entscheidet. Die Statistiken schließen nicht die wirklichen Schwierigkeiten ein, die mit dieser Diskriminierung oder der permanenten Beleidigung zusammenhängt.
2009 zerstörte Israel 225 palästinensische Häuser in der Westbank und machte 515 Palästinenser obdachlos, berichtete das UN-Office für die Koordination humanitärer Angelegenheiten. Tausende mehr in der Zone C und in Jerusalem leben in ständiger Angst, dass ihr Haus zerstört wird und dass auch sie von ihrem Wohnort vertrieben werden.
Wie kann man Ängste zählen? Wie die Angst, die in den Häusern von 700 Minderjährigen empfunden wird, die die IDF 2009 verhaftet hat. Der palästinensische Ableger von Defense for children International stellte 218 von diesen Minderjährigen vor. 40 wurden entlassen, 28 gegen Kaution und 12 ohne Bedingungen. Sieben Minderjährige wurden in Verwaltungshaft gehalten, also ohne Prozess. Im Ganzen wurde 192 vor Gericht gebracht, von denen 23 12 oder 13 Jahre alt waren und 46 waren 14 oder 15 Jahre alt. Die Mehrheit – 123 Minderjährige waren 16 oder 17 Jahre alt.
Zu weniger als sechs Monate Haft wurden 121 von diesen verurteilt – 63 Prozent – während 31 von ihnen Haftstrafen zwischen sechs Monaten und einem Jahr und 32 Haftstrafen zwischen einem und drei Jahren erhielten. Acht von den Minderjährigen bekamen mehr als drei Jahre Gefängnisstrafe.
Die Mehrheit ( 117) wurde wegen Steinewerfens verhaftet, 33 weil sie Molotov-Cocktails besaßen oder warfen, 11 waren Mitglieder in verbotenen Organisationen, acht hätten sich verabredet, zu töten, sieben besaßen oder versteckten Sprengstoff und 16 hätten Waffen versteckt oder fabriziert.
Im Augenblick wollen wir nicht über die Verhaftungen, die Prozesse des Militärsystems diskutieren, von dem gesagt wird, es würde Gesetz und Ordnung aufrecht erhalten, tatsächlich aber hält es die Besatzung aufrecht. Lassen wir auch jetzt die Tatsache beiseite, dass es in militärischen Tribunalen oft ratsam ist, die Anklagen zuzugeben, die der Angeklagte gar nicht begangen hat, da die Haftzeit während der Prozesszeit länger sein kann als die tatsächliche Haft wegen der angeblichen Straftat.
Aber wie kann man die persönliche und kollektive Wut durch geworfene Steine in Zahlen ausdrücken und die durch Israels Militärtribunal erst geschaffen wird?
Alles, was wir berichten und was sich mit Israels Herrschaft über die Palästinenser befasst, führt in die Irre . Es erweckt den Eindruck, dass egal, was berichtet worden ist, dies alles sei, was auf palästinensischer Seite geschieht und dass sonst alles normal sei oder gar blüht und gedeiht. Jedes in israelischen Zeitungen veröffentlichte Problem ist nur ein Hinweis auf das, was alles fehlt und was keiner wissen möchte.
Amira Hass in „Ha´aretz“ (Entzündungen); Übersetzung: Ellen Rohlfs
Schlagwörter: Amira Hass, Ismail Daiq, Israel, Palästina