von Liesel Markowski
Er gilt als einer der Klassiker des 20. Jahrhunderts, doch seine Musik erklingt selten in Opern- und Konzerthäusern: Ernst Krenek, der von 1900 bis 1991 lebte, war sozusagen im gesamten vergangenen Jahrhundert präsent, ohne wirklich gegenwärtig zu sein. Das Aufführungsverbot der Nazis über die Musik des in die USA emigrierten österreichischen Komponisten hat dem Vergessen seines Werkes zweifellos Vorschub geleistet. Daß dem „unbekannten Bekannten“ nun, im Februar 2010, ein Extraprogramm mit Konzerten, Musiktheater, einer Ausstellung und wissenschaftlichem Symposium gewidmet wird, ist Bereicherung und Abenteuer zugleich. Insgesamt eine Pioniertat des Berliner Konzerthauses: Denn neu zu entdecken sind Musiken wie die Position Kreneks in seinem aktuellen kompositorischen Umfeld, vornehmlich der 20er Jahre.
Das ganz Besondere war eine Aufführung der Oper „Orpheus und Euridike“ durch Chefdirigent Lothar Zagrosek und sein Orchester nebst Solistenensemble und Chor: erste szenische Einrichtung seit 17 Jahren und dritte seit der Uraufführung 1926. Neuland wurde beschritten in überraschend ungewöhnlicher Art und Weise, die eine expressive Klangwelt und aufregende Gechichte vorführte.
Die antike Sage von Orpheus, der seine tote Geliebte kraft seines Gesanges aus der Unterwelt zurück ins Leben führen darf und trotz Verstoß gegen das Blickverbot durch Gott Amor mit Eurydike gerettet wird, ist hier – anders als bei der bekannten Vertonung durch Gluck – der damals aktuellen Psychoananlyse verbunden. Nicht das Ideal des Humanen ist angesagt, sondern Konflikte von Personen des 20. Jahrhunderts, deren psychische Innenansichten deutlich werden. Zugrunde liegt ein dramatischer Text von Oskar Kokoschka (1886-1980), österreichischer Maler und Schriftsteller, der die antike Geschichte mit Privatem und einer weiteren Sage – der von Amor und Psyche – verband und überlagerte. Entstanden ist ein Werk über Totenwelten, in dem es um Geschlechterkampf und Haßliebe mit tragischem Ende geht. Kokoschka hat mittels des antiken Vorwurfs persönliche Erfahrungen im ersten Weltkrieg (eine schwere Verwundung) und seine Enttäuschung durch die Liebesbeziehung mit Alma Mahler (der Witwe des Komponisten) und die Ausweglosigkeit des Künstlers als Kriegsfolge reflektiert. Im Nachspiel leuchtet dank Psyche und Amor zarte Hoffnung auf.
Das kulturelle Klima Wiens war als Zeitgeist für Krenek wichtig. Kokoschkas metapherreichen Text kürzte er für seine Komposition ein. Die Expressivität der Worte sprang gleichsam auf die Musik über. In freier Atonalität gewinnt seine Tonsprache hinreißende Ausdruckskraft. Sie wirkt so unmittelbar in glutvoller Emphase des Orpheus und in kantabler Geste Eurydikes. Sie lebt von scharfen orchestralen Kontrasten und gewaltigen schrillen Ausbrüchen, von blitzenden Konturen und zarter Lyrik. Eine Musik dramatischer Widersprüche und feinster Klangpoesie. All dies machte die Aufführung faszinierend wirksam in fantasievoll ausgestaltetem konzertantem Rahmen.
Regisseur Karsten Wiegand wagte ein erstaunliches szenisches Experiment: Alle Mitwirkenden waren auf einem mehrstöckigen Stahlgerüst platziert: das voluminös besetzte Orchester in den drei Etagen übereinander. Kompaktes Blech plus Harfe ganz oben, Holz und Streicher (teilweise) in der Mitte, weitere Streicher unten. Die Solisten platzwechselnd, die Sänger des Ernst Senff Chors (Einstudierung: Steffen Schubert) in der hinteren Mitte. Der Dirigent agierte auf turmartigem Podest, durch zusätzliche Video-Übertragung für alle Mitwirkenden sichtbar. Dazu gab es neben Beleuchtungswechsel (Franck Evin) Foto-, Film- und Texteinblendungen auf mehrere Bildflächen am Stahlgerüst, meist die Gegenwart der Autoren charakterisierend. Manche dieser Illustrationen erlaubte Vergleiche mit unserer Gegenwart, wie man überhaupt Nähe des Ganzen zu uns empfand. Das war der gelungenen Wiedergabe unter dem engagierten Dirigat von Lothar Zagrosek zu danken: Das Konzerthausorchester bot in vorzüglicher Verfassung prächtige Klangkultur, eindeutig gefördert durch die vertikale Sitzordnung. Die Solisten, von denen einige wegen Erkrankug der vorgesehenen Sänger kurzfristig eingesprungen waren, bewährten sich mit ansprechender vokaler Ausstrahlung. Besonders die Protagonisten Brigitte Pinter (Sopran) als Eurydike, Daniel Kirch (Tenor) als Orpheus und neben dem Mezzo-Terzett der Furien (Barbara Senator, Christa Mayer, Kismara Pessatti) besonders Claudia Barainsky als Psyche, die im Nachspiel mit strahlend lockerem Sopran ein lyrisch-zartes Zeichen zur Versöhnung setzte.
Schlagwörter: Ernst Krenek, Liesel Markowski, Orpheus und Euridike, Oskar Kokoschka