Ein Popstar derben Humors

von Kai Agthe

Was haben die Berliner Originale Eiserner Gustav, Hauptmann von Köpenick und Heinrich Zille gemeinsam? Sie waren allesamt keine Berliner. Wilhelm Voigt, der sich als Offizier ausgab, um die Köpenicker Stadtkasse zu leeren, kam aus Tilsit, »Pinsel-Heinrich« stammte aus dem sächsischen Radeburg, und der Eiserne Gustav wurde in Magdeburg geboren. Von allen Originalen ist nur Eckensteher Nante ein echter Berliner – aber ein rein literarischer.

Der Eiserne Gustav, den später Heinz Rühmann und Gustav Knuth verkörperten, ging auch deshalb als Urberliner durch, weil er Herz und Schnauze hatte. Das beweisen die vielen Anekdoten, die von dem Droschkenbesitzer überliefert sind. Berlinert hat er jedoch nie. Er sprach, seiner Herkunft eingedenk, ein hörbar magdeburgisch gefärbtes Deutsch. Mit seiner legendären Paris-Fahrt 1928 wollte er sich in den Ruhestand verabschieden. Auf die Idee kam er, als ihn eines Tages an seinem Standplatz in Wannsee eine Französin namens Rachel Dorange ansprach, die mit ihrem Pferd von Paris nach Berlin geritten war. »Ick mach ne Stippvisite auf Jejenseitigkeit«, soll der beeindruckte Gustav ihr nachgerufen haben.

Gunnar Müller-Waldeck, emeritierter Professor für Germanistik aus Greifswald, hat Gustav Hartmann ein Buch gewidmet. Diese Publikation war, wie so oft, die positive Folge eines Desiderats. Im Zuge seiner Beschäftigung mit Hans Fallada – der 1938, also in Hartmanns Todesjahr, den mit dem Vorbild, sagen wir, sehr freizügig umgehenden Roman »Der Eiserne Gustav« veröffentlichte – wollte Müller-Waldeck Näheres über die historische Figur des Berliner Droschkenkutschers erfahren. Doch mußte der Literaturwissenschaftler feststellen, daß eine derartige Publikation noch gar nicht existierte.

Mit Bieneneifer hat Müller-Waldeck – der sich auch um die Wolfgang-Koeppen-Ehrung in Greifswald Verdienste erworben hat – alles zusammengetragen, was sich an Fakten über Gustav Hartmann finden ließ und daraus ein spannendes Lesebuch komponiert.

Neben einem biographischen Porträt des Wahl-Berliners findet sich ein Kapitel über Hans Hermann Theobald. Der fuhr als Journalist in Gustavs Droschke zeitweise mit und konnte von des alten Kutschers triumphalem Einzug in Paris und Berlin berichten. Auch ein Polizeireglement für das Droschkengewerbe hat der Verfasser ausfindig gemacht. Interviews runden den Band gehaltvoll ab. Diese führte der Verfasser einerseits mit Nachkommen von Gustav Hartmann und Hans Hermann Theobald, andererseits mit Berliner Taxifahrern, die von dem Bildhauer Gerhard Rommel ein Denkmal für ihren Kollegen entwerfen ließen. Das Standbild wurde, wie es sich für den Patron gebührt, in Eisen und nicht in Bronze gegossen.

Gustav Hartmann ist insofern eine interessante Gestalt, weil seine an sich wenig spektakulär anmutende Droschkenfahrt durch die Zeitungen nicht nur begleitet, sondern der Kutscher durch die Printmedien zu einer Art frühen Popstar aufgebaut wurde. Die damit verbundene Werbewirksamkeit nutzten unter anderem die Opel-Werke in Rüsselsheim. Auf seiner Heimfahrt posierte der Eiserne Gustav mit seinem Pferd »Grasmus« am Fertigungsband – und erhielt dafür zwei Autos zum Preis von einem. Die Pkw setzte er in Berlin natürlich als Taxen ein. Bereits vor Antritt seiner Reise war Gustav stolzer Besitzer eines Dürkopp und eines Benz. »Die heroische Attitüde«, so Gunnar Müller-Waldeck, »wonach Hartmann (mit seiner Kutschfahrt, K.A.) gegen das Auto opponieren wollte, ist später als Legende geboren worden.« Lange konnte sich der in der Alsenstraße 11 lebende Fuhrherr Hartmann an seinen Neuerwerbungen nicht erfreuen: Anfang der dreißiger Jahre fiel sein Bestand an Kutschen und Kraftfahrzeugen einem Brandstifter zum Opfer. Darunter auch seine Paris-Droschke, die er eigentlich dem Zeughaus als Exponat überlassen wollte. Nur sein Anzug und der weiße Zylinder haben die Zeiten überdauert. Beide sind im Zehlendorfer Heimatmuseum zu sehen. Seinen Spitznamen erhielt Gustav Hartmann übrigens, weil er morgens der erste und nachts der letzte Wagenlenker war, der am Bahnhof Wannsee geduldig auf Kundschaft wartete.

Gunnar Müller-Waldeck: Der Eiserne Gustav. Die Geschichte des legendären Droschkenkutschers Gustav Hartmann, Das Neue Berlin 2008, 268 Seiten, 14,90 Euro