von Franz Schandl, Wien
Eine der gängigsten Varianten der Affirmation ist das positive Denken. Kaum eine Vokabel ist – lassen wir die Medizin mal beiseite – so positiv besetzt wie „das Positive“. Wer will nicht positiv sein? Der Schluß vom positiven Wollen auf das positive Denken, das ist wahrlich ein Trugschluß der übelsten Sorte. Affirmation hat eine esoterische Schlagseite oder besser vielleicht noch: einen Schlagstock. Dort, wo sich die grassierende Esoterik am deutlichsten im privaten wie im öffentlichen Alltag eingenistet hat, offenbart sich das in der flächendeckenden Durchsetzung des positiven Denkens. Es ist dermaßen verankert, daß man ihm nicht einmal mehr Herkunft und Ideologie ansieht. Positives Denken ist ein zentrales Gebot. Ganze Industrien sind damit beschäftigt, affirmative Sichtweisen und Bedürfnisse zu produzieren und zu reproduzieren.
„Sorge dich nicht – lebe!“, heißt ein klassischer Bestseller von Dale Carnegie aus dem Jahr 1948. Positives Denken ist objektivistisches Denken, es erkennt das, was ist, an als das, was sein soll. Kommt eins damit nicht zurecht, so ist der Fehler im Unvermögen des Subjekts zu suchen. Wenn Unzufriedenheit stattfinden darf, dann nicht als Kritik an den Zuständen, sondern als Suche nach eigenen Defiziten.
Wobei der ökonomische Begriff „Defizit“ die Lage durchaus richtig beschreibt. Man ist ins Minus geschlittert. Suggeriert wird eine Schuld, die man aber durch Kauf einschlägiger Lebenshilfen überwinden kann. Nicht nur Poster mit positiven Sätzen sind bestellbar, es gibt inzwischen sogar „Affirmationskarten im Hosentaschenformat“. Gefordert wird aggressive Selbstprogrammierung. Aber warum etwas behaupten, was im Original viel drastischer formuliert ist: „Sehen Sie Ihren Kopf wie einen Computer. Denken Sie über eine Umprogrammierung nach. Löschen Sie den Denkfehler und dann (…) gehen Sie in ein positives Leben“, heißt es auf einer einschlägigen Website). Wahrlich, die Betroffenen gehen nicht „in ein“, sondern „ein in“. Nicht ein Denkfehler wird gelöscht, das Denken selbst wird formatiert. „Denk nicht so viel nach!“, lautet eine bezeichnende Redewendung.
Nicht Veränderung wird verlangt und versprochen, sondern Flucht. Nicht das Elend wird angegangen, sondern die Möglichkeit, es als solches überhaupt zu benennen und zu begreifen. Derlei Negation des Negativen ist Affirmation pur. Sie sagt den Menschen nicht, wie Angst und Not zu beseitigen wären, sondern sieht darin Wahrnehmungsfehler, die es auszuschalten gilt. Sie plädiert offen für Verdrängung. Positives Denken nimmt die Menschen nicht ernst in dem, was sie sich antun und was ihnen angetan wird. Es interpretiert frech um, indem es in der Betrachtung die dunklen Momente eskamotiert und nur helle oder besser hellseherische übrig läßt. Hellsehen und Wahrsagen, es ist kein Zufall, daß nicht wenig in der Esoterik darauf basiert. Um dem positiven Denken zu folgen, bedarf es einer halluzinatorischen Weggetretenheit, die sich freilich als Versicherung wahrnimmt und sich in diversen Versicherungsgesellschaften auch zu einer absolut finanzträchtigen Sparte entwickelt hat. Sie verkaufen Policen, deren grundsolide Basis in nichts anderem liegt als in der Einbildung der Käufer. Diese müssen daran glauben, denn sonst hätten ihre Investitionen keinen Wert. Also glauben sie daran.
Positives Denken lehnt die Suche nach Kenntnis und Erkenntnis als falsche Fragen ab. Daß das Positive „das ominöseste Wort“ sei, befand schon Günther Anders: „Sei mißtrauisch, wenn deine Nachbarn die Gewohnheit annehmen, vom ‚Positiven’ zu sprechen. Und noch mißtrauischer, wenn sie beginnen, dieses Wort salbungsvoll auszusprechen. Die Funktion dieses Wortes besteht ausschließlich darin, das, was ist, zu sanktionieren und – denn als ‚negativ’ meint es stets Kritik – Kritik zu diffamieren. Der Ausdruck ist Vorbote des Terrors, und wer ihn in den Mund nimmt, der lockert immer bereits den Revolver.“
„Positiv denken ist das Gegenteil von Denken“, schreibt Ilse Aichinger in ihrem Band „Subtexte“ (Wien 2006). Denken ist wesentlich negativ. Es erfordert, sich wirklich mit dem Gegenstand auseinander zu setzen. Daß er sei, reicht nie, es ist zu fragen, was er sei, und diese Bestimmung ist nur durch Negation möglich, durch die Kraft reflektierten Reflektierens. Positives Denken ist lediglich Registrieren, Kapieren, Akzeptieren, Kapitulieren.
Wo das Resultat vorweggenommen ist, erübrigt sich die Reflexion. Ein umfassendes, analytisches wie kritisches Urteil ist hier dem Vorurteil sukzessive gewichen. – Aus jeder Situation das Beste zu machen ist allerdings etwas anderes als in jeder Situation etwas Gutes zu sehen. „Ist das Gute gut?“, ist jedenfalls keine Fangfrage für Idioten. Um positiv zu wollen, muß eins negativ denken. Denn nur so ist das Sich-Absetzen überhaupt möglich, nur so vermag sich Potenzial entfalten, das sich nicht positiv mit der Destruktivität einläßt. Denn wer sich konstruktiv zu ihr verhält, fördert sie unaufhörlich. Konstruktives Verhalten ist rekonstruktiv, es will das, was ist, immer wieder herstellen. Es möchte dabei sein, beitragen, mitmachen. Nicht Entwicklung interessiert, sondern Kreislauf.
Unser Dasein orientiert sich allen Gerüchten zum Trotz nicht an Autonomie und Selbstbestimmung. Die meisten Handlungen und Prozesse wirken eher fern- als selbstgesteuert. Positives Denken sieht letztlich die Bestimmung in der Fatalität, ja im Telos eines Ablaufs. Resultate werden nicht nur anerkannt, sie werden wohlwollend interpretiert.
Positives Denken will das Urteil vorpräparieren. Es möchte das Negative und vor allem die Negation prinzipiell ausschließen. „Sei nicht destruktiv“, ruft das Destruktive und die Destruierten gehorchen aufs Wort.
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