Des Blättchens 12. Jahrgang (XII), Berlin, 14. September 2009, Heft 19

Kino im Leben

von F.-B. Habel

»Merk Otto Brahms Spruch: Wat jestrichen is, kann nich durchfalln.« So erinnerte Kurt Tucholsky in seinen »Ratschlägen für einen guten Redner« an den Berliner Bühnenkünstler, der vor hundert Jahren das Lessing-Theater leitete. Was fürs Theater gilt, kann im Film nicht falsch sein. Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase hält sich schon seit Jahrzehnten an Brahms Maxime. »Ich finde, wenn man etwas in drei Sätzen erzählen kann statt in fünf und wenn man damit zum selben Ergebnis kommt, dann hat man die edlere Erfindung«, sagt er und hat es bewiesen. Was waren das für geschliffene Dialoge in Konrad Wolfs »Solo Sunny«, in Bernhard Wickis »Die Grünstein-Variante«, in Frank Beyers »Der Bruch«! In Andreas Dresens »Sommer vorm Balkon« hat es der Altmeister, als der Kohlhaase inzwischen gelten darf, vor wenigen Jahren allen gezeigt. Der Film war ein Publikumserfolg und brachte zahlreiche Preise ein. Jetzt endlich gibt es einen neuen Film mit dem Erfolgs-Duo. »Whisky mit Wodka« hatte Kohlhaase eigentlich für Frank Beyer geschrieben, der den Film nicht mehr realisieren konnte.
Die Idee fußt auf einer wahren Geschichte, die sich bei der DEFA in den fünfziger Jahren ereignete. Raimund Schelcher war ein begnadeter Schauspieler am Berliner Ensemble und im Film – wenn er nicht zu tief ins Glas geschaut hatte. Regisseur Kurt Maetzig sah in ihm die Idealbesetzung des »krummen Anton« in dem Zweiteiler »Schlösser und Katen« (1956), stieß aber wegen Schelchers Unzuverlässigkeit bei der DEFA-Direktion auf Skepsis. Um die Produktion nicht zu gefährden, wenn der alkoholkranke Schauspieler ausfallen sollte, wurden alle seine Szenen noch einmal mit dem damals unbekannten Hans Hardt-Hardtloff gedreht, bis Schelcher sich wirklich im Griff hatte. Schelcher war überwältigend gut, und für Hardt-Hardtloff begann eine beachtliche Filmkarriere. Nachdem er in »Schlösser und Katen« nicht auftauchte, spielte er doch immer größere Nebenrollen bei der DEFA, und mit dem Meternagel in der Christa-Wolf-Adaption »Der geteilte Himmel« (1964) von Konrad Wolf oder dem Direktor in Zschoche/Plenzdorfs Verbotsfilm »Karla« (1965) schrieb er DDR-Filmgeschichte.
Wolfgang Kohlhaase hat die Episode als Anlaß genommen, nicht vordergründig eine Schauspielergeschichte zu erzählen. Das ist sie auch, und eine amüsante Parodie der Filmleute auf ihresgleichen. Wieviel Leben steckt im Kino, und wieviel Kino steckt im Leben, fragte Kohlhaase sich. Er sah in der Ausgangssituation die Möglichkeit, eine heiter-melancholische Geschichte über das Älterwerden zu erzählen. Otto Kullberg ist ein gefeierter Star, der jedoch keine bleibende Beziehungen im Leben aufbauen konnte. Eigentlich ist sein Beruf das einzige, was er hat. Nun wird auch der noch in Frage gestellt – durch einen jüngeren.
Wenn man diesen Typ sieht, denkt man sicherlich auch an einen inzwischen verstorbenen Publikumsliebling, der in dem Kohlhaase-Film »Der Hauptmann von Köpenick« die Titelrolle spielte: Harald Juhnke. So einen Sonnyboy, der es mit den Frauen und dem Suff leicht nimmt, und der doch seine Ängste damit zu kompensieren versucht, spielt jetzt Henry Hübchen. Er erinnert in seiner Leichtlebigkeit an den Jaecki Zucker, den er vor fünf Jahren in Dani Levys Filmkomödie spielte. Hübchen zeigt aber auch, daß da einer ist, der nachgedacht hat, ohne allerdings zu einem endgültigen Ergebnis gekommen zu sein.
Eine ebenso einsame Figur gestaltet Corinna Harfouch mit Ottos Verflossener Bettina. Sie lebt jetzt an der Seite des Regisseurs Telleck, den Sylvester Groth als einen verunsicherten Künstler spielt, der sich mit seiner alternden Frau schmückt und doch kaum etwas mit ihr anzufangen weiß. Corinna Harfouch breitet wieder eine Skala von Facetten aus, in denen sie die eingeübte Sicherheit ihrer Bettina immer wieder verläßt, Souveränität ins Komische umkippen läßt, ohne die Ernsthaftigkeit der Figur preiszugeben. Die Überraschung in diesem Schauspielerfilm ist Markus Hering, Burgschauspieler aus Wien, der Filmkennern zwar schon vor vielen Jahren auffiel, aber selten vor der Kamera hervortrat. Er spielt den »zweiten Mann« als sympathischen Underdog, dessen dunkle Seite erwacht, als er die Möglichkeit zur Karriere wittert.
Regisseur Andreas Dresen wandelte diesmal – das zeigt sich auch an der Musik – in Woody Allens Spuren. Es gelang ihm mit Kohlhaases Hilfe und der souveränen Kameraführung von Andreas Höfer eine Tragikomödie voller Melancholie und Witz. Dazu gehören auch Reminiszenzen an frühere Filme – seien es die »17 Hippies«, die zu den von Emöke Pöstenyi einstudierten Tango-Einlagen musizieren, oder Günther Fischer, der als Barpianist Sunnys Solo anstimmt. Thomas Putensen, der einst als »Ali« ein Idol war, ist als Kameramann dabei, und nur bei Fritz Marquardt ließen sich Dresen und Kohlhaase einen Insider-Gag entgehen. Marquardt als alter Briefträger? Er wird doch immer als Schrankenwärter Platow in unserem Gedächtnis bleiben!

»Whisky mit Wodka« läuft in vielen Kinos. Von unserem Autor erscheint demnächst im Verlag Neues Leben das Buch »LEXIKON Schauspieler in der DDR«