von Frank Burkhard
Der unbedingten Solidarität aller Geldverdiener muß die ebenso unbedingte Solidarität der Geistigen gegenüberstehen. Es geht nicht an, daß man feixenden Bürgern das Schauspiel eines Kampfes liefert,
aus dem sie nur und ausschließlich heraushören: Dürfen wir weiter schachern, oder dürfen wir es nicht?
Dürfen wir weiter in Cliquen und Klüngeln schieben, oder dürfen wir es nicht?
Kurt Tucholsky, Die Weltbühne, 13.3.1919
Prägend war die Zeitschrift, die Siegfried Jacobsohn am 7. September 1905 in Berlin gründete, für das öffentliche Leben in Deutschland im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts. Spätestens seit dem Ende des Ersten Weltkriegs sprach sie alle an, die im weitesten Sinne links waren. Die Schaubühne, wie das wöchentlich erscheinende kulturelle Magazin bis 1918 hieß, stieß Diskussionen über die Wirklichkeit an, wie sie durch Literatur und Kunst vermittelt wurde. Die Weltbühne, wie Jacobsohn das »Blättchen« ab 1918 nannte, ging auf geistige, politische und gesellschaftliche Strömungen direkt ein. Die Betrachtung von Theater und Kunst war endgültig zugunsten der Analyse dessen, was die Welt im Innersten zusammenhält, in den Hintergrund getreten.
Daher haben Friedhelm Greis und Stefanie Oswalt, die im vergangenen Jahr ein Lesebuch mit Texten aus Schaubühne und Weltbühne zusammenstellten, auf die einst so typischen Rezensionen und auch weitgehend auf feuilletonistische Betrachtungen verzichtet. Ihr Band »Aus Teutschland Deutschland machen« versammelt – in neun thematische Kapitel eingeteilt – Betrachtungen und Bemerkungen, die so typischen »Antworten«, Traktate, auch zeitbezogene Gedichte, Wirtschaftsanalysen und Auslandsberichte. Unter den Autoren befinden sich außer den Redakteuren Jacobsohn, Ossietzky und Tucholsky (mit all seinen PS) unter anderen Axel Eggebrecht, Lion Feuchtwanger, Kurt Hiller, Erich Kästner, Leo Lania, Heinz Pol und Ernst Toller – um nur das Spektrum anzudeuten.
Die Herausgeber haben in unglaublichen 48 000 Heftseiten der Jahre 1905 bis 1933 einige »Juwelen«, wie sie es nennen, wiederentdeckt. So manche Debatte wird hier, aus heutiger Sicht klug kommentiert, noch einmal angestoßen. Friedhelm Greis und Stefanie Oswalt waren erstaunt, wie vieles doch mit heutigen Problemen korrespondiert. Stefanie Oswalt: »Wir waren verblüfft, Texte zu finden, die schon vor fast hundert Jahren über die Probleme der Globalisierung reflektierten, über Probleme der Massenarbeitslosigkeit, über Niedriglöhne und dergleichen mehr. Das hatten wir nicht erwartet. Dann gibt es Texte im Politikteil zum Beispiel, wo es um die Frage der Einigkeit der Linken geht. Also: Müssen sich Kommunisten und Sozialisten gegenseitig das Wasser abgraben?«
Im Kapitel »Gegen Krieg, Militarismus und Nationalwahn«, ein Themenkomplex, in dem die Weltbühne besonders engagiert war, kann man Wrobels programmatische Sätze von 1928 lesen: »Wir halten den Krieg der Nationalstaaten für ein Verbrechen, und wir bekämpfen ihn, wo wir können, wann wir können, mit welchen Mitteln wir können. Wir sind Landesverräter. Aber wir verraten einen Staat, den wir verneinen, zugunsten eines Landes, das wir lieben, für den Frieden und für unser wirkliches Vaterland: Europa.«
»Der Kampf um die erste deutsche Demokratie« heißt das Kapitel um die Irrwege und Fehlentwicklungen der Weimarer Republik, die die Weltbühne kritisch begleitete. Das Meinungsspektrum wird angedeutet durch einen Schmähartikel gegen Rosa Luxemburg, den Johannes Fischart (d. i. Erich Dombrowski) Tage vor ihrer Ermordung verfaßte: »Aufs Konspirieren und Revolutionieren hat sie sich seit jeher verstanden. Sie müßte nicht aus Russisch-Polen gekommen sein, um nicht in der Schule politischer Minierarbeit etwas gelernt zu haben.« Am Ende des selben Jahres nennt die Weltbühne Rosa Luxemburg eine »revolutionäre Heidin«.
Meinungsstreit, der erfrischend sein könnte, ginge es nicht um den Umgang der Revolution mit Menschenleben, findet sich in dem Kapitel »Europa und die Welt«. Arnold Zweig und Bruno Frei, zwei Publizisten, die auch noch in den zweiten Nachkriegsjahrzehnten Weltbühnen-Autoren blieben, beteiligten sich an einer hitzig geführten Debatte um den Umgang der sowjetischen Führung mit vermeintlichen Regimegegnern. Bruno Frei schrieb an Zweig im Dezember 1931: »Die Saboteure in der Sowjetunion sind ein Teil des Kriegsapparates, der gegen den Sowjetstaa! organisiert wird. Sie (gemeint ist Arnold Zweig, F. B.) protestieren gegen ihre Erschießung. Die ganze Welt hallt wider von dem Kriegsgeschrei gegen die Sowjetunion, und Sie entrüsten sich über die Phraseologie der Kriegsberichterstattung. Jawohl, es ist Krieg, und er wird dadurch nicht aus der Welt geschafft, daß man sich auf die Ofenbank legt und die Augen zumacht.«
Ein weiteres Kapitel beschäftigt sich mit »Judenheit, Zionismus und Antisemitismus«, ein Thema, zu dem seit Schallbühnen-Zeiten Meinungsverschiedenheiten im »Blättchen« ausgetragen wurden. Auch über die Geschichte Palästinas kann man hier vergessene Details auffischen, so über das Verhalten der britischen Mandatsmacht wie der Zionisten gegenüber der arabischen Bevölkerung. Dazu wurde ein Beitrag von L. Goldberg von 1926 aufgenommen, einem Verfasser, über den nichts Näheres bekannt ist. Doch Friedhelm Greis und Stefanie Oswalt machten es sich zum Prinzip, nicht nur prominente Autoren in ihrer Auswahl zu Wort kommen zu lassen, die in Kurzbiographien vorgestellt werden.
Natürlich vermißt der Kenner auch den einen oder anderen Autor. Warum fehlt Rudolf Amheim? Wo sind Robert und Jürgen Kuczynski? Bei einer Buchvorstellung im Berliner Brecht-Zentrum im Frühjahr gab es Zuschauer, die sich als DDR-Bürger herabgesetzt fühlten, weil die Nachkriegsjahrzehnte in diesem Band keine Rolle spielten. Doch das muß eine andere Edition leisten, die es hoffentlich einmal geben wird. Das vorliegende Buch ist ein Lesevergnügen, ein anregender Unterricht in Geschichte und Stilkunde, eine Fundgrube seltener Art.
Friedhelm Greis und Stefanie Oswalt (Hg.): Aus Teutschland Deutschland machen. Ein politisches Lesebuch zur ›Weltbühne‹. Mit einem Vorwort von Heribert Prantl, Lukas Verlag Berlin 2008, 540 Seiten, 29,80 Euro
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