von Mario Keßler
Anzuzeigen ist ein schmales, doch wichtiges Buch über Wolfgang Abendroth (1906-1985), das eine willkommene Ergänzung zu den beiden großangelegten Untersuchungen über diesen Juristen und Politikwissenschaftler darstellt, die Andreas Diers (Arbeiterbewegung – Demokratie – Staat. Wolfgang Abendroth: Leben und Werk 1906-1948, 2006) und Richard Heigl (Oppositionspolitik. Wolfgang Abendroth und die Entstehung der Neuen Linken, 2008) kürzlich vorgelegt haben.
Uli Schöler, Mitherausgeber von Wolfgang Abendroths Schriften, setzt sich mit Vorwürfen auseinander, nach denen seit den siebziger Jahren Abendroth in das politische Schlepptau der SED-Führung geraten sei. Einen dieser Vorwürfe, 2005 von einer Marburger Historikerin erhoben, war von ihr in der FAZ schon 2007 ausdrücklich zurückgenommen worden: Die von ihr früher vermutete Verbindung Abendroths zur DDR-Staatssicherheit entbehrten »nach Aktenlage« jedes Beweises. Im gleichen Artikel zitiert sie ein Kondolenzschreiben, das Abendroth am 2. August 1973 aus Anlaß des Todes von Walter Ulbricht an SED-Politbüromitglied Albert Norden gerichtet hatte. Darin würdigte Abendroth den DDR-Staatsratsvorsitzenden als einen »der Größten aus der Tradition der Arbeiterbewegung … und gleichzeitig einer der Größten der Geschichte des deutschen Volkes«. Mochte Abendroth vieles anders gesehen haben als Ulbricht, so ändere dies nichts an der »ungeheuren historischen Leistung « Ulbrichts, der nicht nur die DDR, sondern »auch die westdeutsche Arbeiterbewegung und der internationale Sozialismus« viel verdankten.
Seit etwa zehn Jahren bemühen sich frühere Linke, die von einstigen Positionen ganz oder teilweise abgerückt sind, um den Nachweis, Abendroth sei zum treuen Gefolgsmann Ulbrichts mutiert. Schölers Verdienst ist es, die sehr emotionale Debatte auf ihren sachlichen Kern zurückzuführen. Worum geht es?
Nach seiner Flucht aus der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) im Dezember 1948 bekannte sich Abendroth im Westen offen zu seiner, im Osten verheimlichten Mitgliedschaft zur SPD. In den frühen fünfziger Jahren arbeitete er auch mit deren, später von ihm kritisch beurteilten Ostbüro zusammen. In seinen Veröffentlichungen und sogar seinen Privatbriefen vermied Abendroth während der gesamten fünfziger Jahre den Begriff DDR, sondern schrieb stets von der »Ostzone«. Abendroth ordnete sich damit durchaus in die herrschende politische Doktrin der frühen Bundesrepublik ein, die auch die SPD voll mittrug. Schöler zeigt, wie Abendroth in den sechziger Jahren davon abrückte, wobei er den SPD-Ausschluß 1961 – Abendroth hatte sich zwischen seiner Parteimitgliedschaft und der Unterstützung für den Sozialistischen Deutschen Studentenbund zu entscheiden – als Wegscheide sieht.
Ideengeschichtlich wichtig ist Schölers Nachweis, daß Abendroth seit dieser Zeit wieder an seine Vorstellungen aus der Zeit der späten Weimarer Republik anknüpfte. Als Gegner der parteioffiziellen Sozialfaschismusthese, die die SPD zum Hauptfeind erklärte, war er 1929 aus der KPD ausgeschlossen worden und der KPD-Opposition (KPD-O) um Heinrich Brandler und August Thalheimer beigetreten, die sich als innerkommunistische Reformpartei verstand, doch aus eigenen Stücken die Kontakte zur KPD nicht abbrechen mochte (auch wenn diese es umgekehrt so hielt). Abendroths Wirken in der SBZ nach 1945 war nicht nur von beruflichen Gesichtspunkten bestimmt, obgleich er als Professor in Leipzig und dann in Jena durchaus ein wichtiges Lebensziel erreichte. Es ging Abendroth nicht weniger darum, die Chance zu nutzen, die sich im Osten Deutschlands für all die ergaben, die sich um eine politische und wirtschaftliche Neuordnung im Sinne eines demokratischen Sozialismus bemühten. Doch war dieses Bemühen bei Abendroth nicht bedingungslos: Mit seiner Entscheidung, nicht offen der SED, sondern inoffiiell der SPD beizutreten, zeigte er, daß ihm durchaus die Risiken bewußt waren, die sich beim Aufbau der neuen Ordnung unter der sowjetischen Besatzung und mit Hilfe einer stalinistisch orientierten Kaderpartei ergaben.
Die Flucht in den Westen und die anschließende Distanzierung von der DDR und der SED sieht Schöler als politische Niederlage Abendroths, auch wenn dies keine Distanzierung von der Oktoberrevolution oder gar von der Idee eines demokratischen Sozialismus bedeutete. Er zeigt, wie Abendroth in den folgenden Jahrzehnten in der Bundesrepublik eine unabhängige Linke politisch unterstützte. Diese Linke, und damit entfernte er sich allmählich von seinen eigenen und den SPD-Positionen der fünfziger Jahre, könne sich aber nicht als völliger Gegenpol zur DDR begreifen. Wie die KPD der Weimarer Republik mache der zweite deutsche Staat kapitale Fehler, müsse jedoch als Gegenkraft zum Kapitalismus kritisch unterstützt und nicht bekämpft werden. Solange das Klassenbewußtsein der westdeutschen Arbeiter so schwach entwickelt sei, solange sei die Existenz der DDR der wichtigste Katalysator der Linken in der Bundesrepublik, so Abendroth. Darüber kam es zum Dissenz mit manchen Freunden, so mit Ossip Flechtheim und Peter von Oertzen.
Ganz unspektakulär, doch ohne Beschönigung Abendroths, sieht Schöler dessen Würdigung Ulbrichts nicht als Anbiederung an ein totalitäres Regime. Vielmehr beurteilt er Abendroths Hoffnung, durch solch freundliche Worte Kontakte zu möglicherweise reformbereiten SED-Politikern herzustellen, als einen politischen Irrtum. Diesen Irrtum teilte Abendroth mit vielen Reformkräften in Ost und West, die eine Verbesserung der Zustände in der DDR, aber nicht die Beseitigung dieses Staates im Sinn hatten. Ob dies als Kapitulation vor dem DDR-Regime oder als Lernprozeß zu sehen ist, sei der Leserschaft dieses Buches überlasen, dessen Lektüre hiermit ausdrücklich empfohlen wird.
Uli Schöler: Die DDR und Wolfgang Abendroth – Wolfgang Abendroth und die DDR. Kritik einer Kampagne, Offizin Verlag Hannover 2008, 128 Seiten, 12,80 Euro
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