von Henryk Goldberg
Böttner hieß der Mann, und wir Kinder mochten ihn nicht besonders. Ich mochte Schuster nie so besonders, ihre nach Kleber riechenden Geschäfte hatten so einen Anhauch von Arme-Leute-Leben – wie die säuberlich und wärmlich riechenden öffentlichen Wannenbäder. Aber der hier gehörte auch noch ins Haus. Er wohnte nicht im Keller, obgleich er ein Schuster war, aber er betrieb sein Geschäft im Erdgeschoß, wenige Stufen führten in den Laden; Kleber, Gummi, Hämmer, Nägel, abgerissene Schuhe.
Das hatte den Vorteil, daß ich kaum je zum Schuster mußte, das machte meine Mutter selbst. Es hatte indessen noch einen anderen Vorteil. Denn ausgerechnet einem Schuster verdanke ich mein erstes zweites Leben. Da stand ich nämlich, elf, zwölf Jahre alt, in der Küche, und bis mein aus nicht von ihr zu vertretenden Gründen alleinerziehendes und allein ernährendes Fräulein Mutter nach Hause kam, mußte der Abwasch fertig sein.
Ich gestaltete diese für einen Mann schwer erträgliche Tätigkeit etwas menschlicher, indem ich mir nach jeweils einigen Tassen & Tellern als Belohnung ein paar Seiten Kar1 May gönnte – oder etwas in dieser Art. So dauerte das Abwaschen, aber es nervte nicht so. An diesem Tag bekam ich Kopfschmerzen, und sie nahmen stetig zu beim Tellerwaschen und Bücherlesen. Und irgendwie hatte ich das Gefühl, als würde mir schlecht, ein bißchen schwindlig. Ich ging ans Küchenfenster und öffnete es, aber es wurde nicht besser. Und während ich so über dieses komische Gefühl nachdachte, da klingelte es. Und eigentlich wäre die Geschichte an dieser Stelle zu Ende, eigentlich müßte es jetzt einen Knall geben. Denn die Küche war voller Gas. Sie war so voller Gas, das der Schuster Böttner aus dem Erdgeschoß durch das Haus ging, um zu erkunden, wo es so riecht. Und weil es damals noch kaum Fernsehapparate gab, kannte er nicht so viele Filme, sonst hätte er etwas über den möglichen Zusammenhang von Funkenbildung und ausströmendem Gas gewußt.
Doch ich will nicht undankbar sein, ohne den Schuster Böttner, so hieß es dann, wären es wohl nur noch einige Minuten gewesen. Er kaufte mir eine Flasche Milch, und ich glaube, ich habe ihn von da an höflicher gegrüßt. Um ihm direkt zu sagen, Sie haben mir das Leben gerettet und ich bin Ihnen sehr dankbar, dafür war ich zu jung. Ich würde es gerne nachholen, aber es ist zu spät.
Doch auch meiner kleinen Schwester bin ich zu Dank verpflichtet. Ihrem Spielen am Gasherd verdanke ich, hier mein Scherflein beitragen zu dürfen. Denn, wie Recherchen unserer Mutter ergaben, hatte die süße Kleine am Abend vorher, bei geschlossenem Haupthahn, am Hahn der Backröhre herumgespielt, er blieb dann offen, bis ich den Haupthahn wieder öffnete. Okay, es wär ein intelligenter Versuch, frühzeitig einen Beitrag zu ihrer Alterssicherung zu leisten; eine Erbschaft allein ist exakt doppelt so viel wert wie die mit einem Bruder zu teilende. Ich bin nicht sicher, ob sie den Schuster nach diesem Tag auch höflicher zu grüßen begann.
Der Mann, dem ich mein zweites zweites Leben verdanke, heißt Georg Hunold, bei ihm habe ich mich bedankt. Diesmal war es Strom. Ich hatte im Kronleuchter des Schauspielhauses zu arbeiten, und als ich aufwachte, da war es das Krankenhaus. Der Kollege fand mich im Kronleuchter liegend, die Hand am fließenden Strom, ich hatte eine Fassung zerdrückt. Georg, schimmernd wie der Drachentöter, trat sie mir aus der Hand, wie ich später erfuhr. Die Ärzte sagten, es hätte keine zehn Sekunden länger dauern dürfen. Das Wundmal am linken Zeigefinger habe ich noch immer. Sie sehen, unsereiner ist zweimal auferstanden. Und kein Schwein spricht darüber.
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