von Mathias Iven
Es fing an, wie so oft. Ein junger Mensch suchte Rat und Hilfe und hoffte, diese bei dem Schriftsteller Hermann Hesse zu finden. »Ich weiß, daß ich Maler und Dichter bin oder einmal werde […] Ich suche also nach einem Weg und kann ihn nicht finden.« Mit diesen Worten, geschrieben Anfang Januar 1937, begann der sich über ein Vierteljahrhundert hin erstreckende, jetzt erstmals veröffentlichte Briefwechsel zwischen Hesse und dem damals zwanzigjährigen Peter Weiss. Hesse, der selbst zeitlebens malte, sah den Zwiespalt in der Situation des jungen Mannes und vermeinte zu erkennen, daß dessen Potential eher im Umgang mit Leinwand und Farbe lag. Schließlich riet er ihm: »Ich könnte mir denken, daß Sie als Zeichner rascher fertig werden und auch Anerkennung finden, denn als Dichter.«
Im Spätsommer 1937 traf Weiss mit seinen Freunden Hermann Levin Goldschmidt und Robert Jungk im schweizerischen Montagnola ein. Sechs Wochen wohnte und arbeitete er in der Casa Camuzzi, im Atelier von Hesses Freund, dem Maler Gunter Böhmer. Bereits im September 1938 kam Weiss erneut in den kleinen Tessiner Ort und blieb fünf Monate. Rückblickend schrieb er im Jahre 1979: »Das war eine sehr fruchtbare Zeit, in der ich zum ersten Mal ohne Angst gearbeitet habe, ohne diese ständige Beklemmung durch die Exilsituation.«
Von Hesse erhielt er den Auftrag, drei seiner Erzählungen zu illustrieren, und mehrmals schrieb ihm dieser Empfehlungen für Verlage. Weiss war ermutigt, begann in Prag Kunst zu studieren und schrieb …
Die Briefe, die Hesse in der Folgezeit erreichten, zeigten eine Persönlichkeit, die ihren Platz in der Welt suchte. So bilanzierte Weiss im Dezember 1937: »Es ist schwer, den richtigen Weg zu finden, wie man eigentlich leben soll – ruhig, häuslich, mit genauen Einteilungen gehts erst recht nicht.« Dabei sah er aber auch, daß – unabhängig von allen politischen Entwicklungen – etwas im »Gären und Neuentstehen« war. »Vielleicht eine Art neuer Romantik – aber um Gottes Willen nicht im archaistischen Sinne und nicht im Sinne von Mondschwärmerei (obgleich auch das sein Gutes hat). Nur der Wille, von der schrecklichen Mechanisierung und Verflachung loszukommen, neue Werte zu finden, wieder mal das Leben als lebenswert anzusehen.« Hesses ungemein produktives schriftstellerisches Leben wurde seit der nationalsozialistischen Machtübernahme zunehmend durch andere Aufgaben bestimmt: »Ich habe jetzt seit Monaten jeden Tag, jeden einzigen Tag mit den Nöten der Flüchtlinge etc. zu tun, es ist schon beinah wie einst im Krieg, wo ich mehr als drei Jahre lang Fürsorgearbeit für die Kriegsgefangenen tat.« – Auch Weiss war auf der Flucht. Im Herbst 1938 ging er mit seinen Eltern nach Schweden. Ein Gefühl der Entwurzelung machte sich breit. »Ich möchte wissen«, klagte er Hesse im März 1939, »ob unsereiner noch einmal die Möglichkeit hat, sich an einem Ort für längere Zeit niederzulassen. Ich bin gar kein Abenteurer, gar kein Weltenbummler, ich möchte gern meine Staffelei und meinen Zeichentisch irgendwo fest in die Erde rammen können.« Doch es war der alltägliche Überlebenskampf, der jede Entscheidung zunichte machte.
Vor die Frage des Broterwerbs gestellt, arbeitete Weiss ab Mai 1939 in der Fotomechanischen Abteilung einer schwedischen Textilfabrik. Und selbst in dieser schwierigen Situation verlor er sein eigentliches Ziel nicht aus den Augen, bestand doch die »Aussicht, bei einem Durchhalten in einiger Zeit eine selbständige Stellung zu erreichen, die eine völlige finanzielle Unabhängigkeit gewährt«. Hesse bestärkte ihn in seinem Vorhaben: »Gehen Sie den Weg, der jetzt nötig scheint, und behalten Sie sich vor, das was er Ihnen mit der Zeit an Geld oder an Unabhängigkeit bringt, dann wieder so zu verwenden wie Sie es früher taten.« Denn auch er hatte schließlich schon früh sein Leben dem Grundsatz untergeordnet, daß es viel besser ist, »sein Brot mit einer nicht künstlerischen Arbeit zu verdienen, als einen Kompromiß zwischen Kunst und Erfolgswelt zu schließen!«
1944 brach der Briefwechsel ab. Erst im Jahre 1961 suchte Weiss erneut den Kontakt zu dem »Zauberer« in Montagnola. Am 23. Januar 1962 traten sich Hesse und Weiss ein letztes Mal gegenüber. An dem Verhältnis der beiden zueinander hatte sich über die Jahrzehnte hinweg nichts geändert. Und wie schon bei der ersten Begegnung waren es Scheu oder Ehrfurcht, die den Verlauf dieses Besuches bestimmten. Von seinem schüchternen Auftreten enttäuscht, hatte Weiss gegenüber Hesse bereits im September 1937 bekennen müssen: »jedes Mal, wenn ich zu Ihnen kam, war ich voll von Dingen, die ich Ihnen sagen wollte und jedesmal ging es mir so, daß ich nichts sagte«.
In diesem Band, der neben den informativ kommentierten Briefen auch zahlreiche Auszüge aus für den Kontext relevanten Werken von Peter Weiss enthält, findet sich auch dessen bislang unveröffentlichte Erzählung »Cloe«. Entstanden im Sommer 1937, steht sie ganz in der Tradition von Hesses Kurz-Prosa. Allein schon deswegen lohnt es sich, einen Blick in dieses Buch zu werfen!
Hermann Hesse, Peter Weiss, »Verehrter großer Zauberer«. Briefwechsel 1937 bis 1962, Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 2009, 249 Seiten, 24,80 Euro
Schlagwörter: Mathias Iven, Peter Weiss