von Henryk Goldberg
Doch, das war schon ein Erfolg. Ich habe nicht gestottert, und ich habe nicht das Glas mit dem Wasser umgeworfen. Dabei, sicher war das nicht. Immerhin hatten sie das Ereignis just in jener Schule plaziert, mit deren Hilfe es mir einst ermöglicht wurde, die dritte Klasse ein zweites Mal zu besuchen.
Das erzeugt natürlich, ausgenommen Nadelarbeit und Schönschreiben, eine gewisse intellektuelle Souveränität gegenüber der beträchtlichen Stofille dieser Klassenstufe, bedeutet doch aber auch eine frühkindliche Belastung, an der ein Mensch mental zu tragen hat. Vor allem aber war es ein Glück, denn so stand mir zur plauderigen Einleitung eine ziemlich sichere Nummer zur Verfügung, und ich konnte es noch ein wenig hinauszögern. Aber dann war es soweit, dann mußte es sein. Zeitungsartikel vorlesen.
Gewiß, es gibt Schlimmeres als die Frage, ob man sich vorstellen könne, ein paar Zeitungsartikel zwischen zwei Buchdeckel klemmen zu lassen, und wer sonst gewohnt ist, als einer von zwanzig in der Zeitung zu stehen, kann es schon leiden, einmal der einzige zu sein. Ob diese Buchlesungen denn unbedingt sein müßten, fragte ich Sigrun Lüdde von der Literarischen Gesellschaft. Ja, sagte die, das müsse so sein, ohne Buchlesung kein Buch. So brutal.
Zeitungsartikel ist keine Textsorte, von der sich sagen ließe, sie finde Erfüllung und Vollendung im öffentlichen Vortrag. Und wenn der Vortragende ein eingeborener Thüringer ist, dessen Beruf ihm das Empfinden gibt, seiner Phonetik sei die Anmutung der Bratwurst nie gänzlich ausgetrieben worden, dann sieht er einem solchen Auftritt mit einer gewissen Zurückhaltung entgegen. Aus dem gleichen Grunde habe ich schon lange Abstand davon genommen, Rezensionen im Radio aufzusagen, ich gönne keinem je von mir benörgelten Schauspieler den grinsenden Genuß meines Auftritts als Thüringer Mundartkomiker. Man muß es den anderen schließlich nicht so leichtmachen.
Aber die Gäste machten es mir schon leicht, sie nahmen den guten Willen für die Tat, und als einige gar testen wollten, ob meine Handschrift tatsächlich so schlimm sei, da überkam mich das Gefühl, nun müsse ich wohl der Mick Jagger des Thüringer Feuilletons sein. Nur, daß die After Show Party im eher kleinen Kreis stattfand, zwei Frauen immerhin; nur, daß das Honorar ein wenig bescheidener ausfiel. Die Menschen haben da vielleicht auch falsche Vorstellungen davon, was wir erfolgreichen Schriftsteller so verdienen. Immerhin, wir werden fotografiert, und bekannte Kulturkritiker wie Frauke A. schreiben über uns. Es soll ja sogar welche unter uns geben, die richtiges Geld bekommen. Immerhin, sie haben mir fünfzig (50) Freiexemplare nach Hause geschickt. Wenn Sie also, lieber Freund der gehobenen Literatur, neben einem Straßenmusikanten aus Petersburg und einem jungen Mann mit Hund, die dem ambulanten Gewerbe nachgehen, einen älteren Herrn begegnen, der in einer Kiste 47 preisgesenkte Exemplare des Buches Damals und noch viel früher feilbietet, das bin dann ich. Damit versuche ich die Kur zu refinanzieren, in die ich mich, nach meinem anstrengenden Debüt als Vortragskünstler und erfolgreicher Schriftsteller, nunmehr begebe.
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