von Mario Keßler
Peter Schäfer, geboren 1931 in Berlin und im nördlichen Stadtteil Hermsdorf aufgewachsen, wurde in der DDR als Spezialist für die neuere Geschichte der USA bekannt. Weniger bekannt war, daß seine Kindheit durch existentielle Gefährdungen bestimmt war: Seine Mutter war Jüdin. Unter schwierigsten Bedingungen ermöglichte die Familie – sein Vater war Arzt, der sich den Rassenfanatikern, die ihn zur Scheidung drängten, nicht beugte – dem jungen Peter Schäfer und seinen drei Geschwistern eine möglichst normale Kindheit. Vom Gymnasium, das er zunächst noch besuchen durfte, wurde er jedoch 1944 relegiert. So erlebte er den Mai 1945 als Befreiung. Die Oberschule nahm ihn wieder auf, und Peter Schäfer konnte nach dem Abitur das gewünschte Geschichtsstudium aufnehmen. Er entschied sich für die Humboldt-Universität, was mit einem Umzug aus den Westsektoren nach Ostberlin einherging. Beredt schildert Schäfer das Universitätsleben und bringt uns die Persönlichkeiten seiner akademischen Lehrer nahe, unter ihnen Alfred Meusel, Ernst Niekisch und Gerhard Schilfert, dessen Assistent er 1953 wurde. Politisch war er damals überzeugt, »die Oktoberrevolution in Rußland [habe] das Tor zu einer neueren, erstrebenswerten und sozialeren Weltordnung aufgestoßen. Wenn dieser Weg längere Zeit allein von der UdSSR gebahnt werden mußte, so konnte man diesen Umstand und die dabei gemachten Fehler und Irrtümer nicht in erster Linie Lenin und Stalin und ihrer Politik anlasten.« Zwar erfüllten ihn die Repressalien etwa gegen Paul Merker, Lex Ende und Willy Kreikemeyer mit Sorge, an der grundsätzlichen Entscheidung für die DDR, die auch seine Frau Ursula, eine Lehrerin, mittrug, änderte dies jedoch nichts.
Schäfers Assistentenzeit, die er 1960 mit der Promotion über die Beziehungen zwischen Deutschland und den USA 1933 bis 1939 abschloß, fiel in die Zeit politischer Umbrüche innerhalb der kommunistischen Welt. Sie verstärkten auch bei ihm die Zweifel an der behaupteten Richtigkeit der reinen Lehre, doch war die Politik des Westens im Kalten Krieg nicht dazu angetan, sich politisch neu zu orientieren. Das Buch zeigt jedoch, wie der Optimismus seines Verfassers auf eine Gestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse in einem sozialistischen Sinn allmählich abnahm und schließlich schwand.
Dazu trugen die Folgen des Mauerbaus, der Schäfer von seinen Eltern für Jahre abschnitt, vor allem aber die Niederschlagung der Reformbewegung in Prag und Bratislava 1968 bei. Nicht weniger ambivalent nahm er seine berufliche Situation am neuen Arbeitsort, dem Historischen Institut der Universität Jena, wahr. Einerseits erhielt er (ungleich den meisten Absolventen im Westen) eine sichere Arbeitsstelle, andererseits wurde er kein »Reisekader«; die Archive und Bibliotheken der USA, deren Zeitgeschichte er sich forschend zugewandt hatte, blieben ihm verschlossen. Solange die DDR existierte, durfte er nicht in die USA reisen, dazu trug in späteren Jahrzehnten auch die Entscheidung seiner Kinder bei, aus der DDR auszureisen. Nur der Umstand, daß die Jenaer Universitätsbibliothek über einen guten Bestand an US-Zeitschriften aus der Zwischenkriegszeit verfügte, ermöglichte es Schäfer überhaupt, die wissenschaftliche Arbeit in guter Qualität fortzuführen. Die Suche nach manchmal nur einem Stückchen bedruckten Papier nahm aber einen allzu großen Teil der Arbeitszeit in Anspruch. Seine Überblicksvorlesungen zur Allgemeinen Geschichte der Neuzeit hielten und halten jedem anspruchsvollen Vergleich stand. Doch zum Professor wurde der als unsicherer Kantonist angesehene Wissenschaftler erst 1989 ernannt.
Die politischen Umbrüche erlaubten es Peter und Ursula Schäfer, 1990 erstmals die USA zu besuchen. In Washington waren sie Gäste des Deutschen Historischen Instituts und seines Direktors Hartmut Lehmann. Sie nahmen am wissenschaftlichen Leben der US-Hauptstadt teil, besuchten Museen, Galerien und Lesungen und lernten die Amerikaner in ihrem Alltag kennen. Aufzeichnungen seiner Frau nutzend, schildert Schäfer die USA als das Land der überraschendsten Gegensätze; ob das Klima, der Lebensstandard der Bevölkerung, die Art des Städtebaus, die Stellung zu Kultur und Zivilisation betrachtet wird, alles offenbart für ihn mehrere Seiten.
Seinen gesellschaftskritischen Blick bewahrte sich Schäfer, auch wenn er sich nicht mehr als Kommunisten sah und die SED verließ. In der Volkskammerwahl 1990 optierte er für die Bürgerbewegungen, denen er (zu optimistisch) die Verteidigung sozialer Errungenschaften der DDR auf dem Weg in die deutsche Einheit zutraute. Schäfer hatte das Glück, als einer von sehr wenigen DDR-Historikern seine Professur zu behalten, ohne sich allerdings als Lobredner der neuen Verhältnisse zu exponieren. Die massenhaften »Abwicklungen« der DDR-Wissenschaftler billigte Schäfer nicht, noch trug er sie gar mit. Doch wäre hier eine genauere Analyse der Folgen jener Massenentlassungen, die politisch Belastete wie Unbelastete auch unter Jenaer Historikern gleichermaßen trafen, wohl am Platz gewesen. Insgesamt aber steht Peter Schäfer für jene wenigen DDR-Historiker, die sich im Wissenschaftsbetrieb behaupten konnten, ohne ihre Biographie zu verleugnen.
Peter Schäfer: »Schreiben Sie das auf, Herr Schäfer!« Erinnerungen eines Historikers an seine Universitäten in Berlin und Jena, Thus & van Rießen Jena, 320 Seiten, 29 Euro
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