Des Blättchens 12. Jahrgang (XII), Berlin, 27. April 2009, Heft 9

Wer ist der Boss?

von Uri Avnery, Tel Aviv

Lieberman bestätigte die schlimmsten Befürchtungen, die mit der Bildung der neuen israelischen Regierung verbunden sind. Konzessionen, so sagt er, bringen keinen Frieden, im Gegenteil. Die Welt respektierte und bewunderte Israel, als es den Sechs-Tage-Krieg gewann.

Zwei Irrtümer in einem Satz. Besetztes Land zurückzugeben ist keine »Konzession«. Wenn ein Dieb gezwungen wird, gestohlenes Gut zurückzugeben oder wenn ein Hausbesetzer eine Wohnung, die ihm nicht gehört, verläßt, so ist das keine »Konzession«, Und die Bewunderung Israels 1967 kam von einer Welt, die uns als ein kleines, kühnes Land sah, das gegen mächtige Armeen aufstand, die uns zerstören wollten. Ein Sprecher des Weißen Hauses verkündigte, für die amerikanische Regierung zähle Ministerpräsident Netanyahus und nicht Liebermans Rede.

Seine Machtposition ist sicher, weil er allein in der Lage ist, jeden Moment die Regierung zu stürzen. Ohne Liebermans fünfzehn Mitglieder hat die Regierung keine Mehrheit. Das volle Ausmaß der Chuzpe Liebermans kam zum Vorschein, als er vom Außenministerium zu einer anderen rituellen Amtsübergabe eilte – dieses Mal beim Minister für Innere Sicherheit. Was hatte er dort zu suchen? Nichts.

Das Rätsel wurde am nächsten Tag gelöst, als der neue Außenminister sieben Stunden in einem Polizeiverhörraum verbrachte, wo er Fragen zu beantworten hatte, die sich auf Bestechungsverdacht, Geldwäsche und ähnliches in Verbindung mit den riesigen Summen beziehen, die aus dem Ausland an eine Gesellschaft transferiert wurden, die auf den Namen seiner 23jährigen Tochter läuft. Dies erklärt seine Präsenz bei der Zeremonie am Vortag. Er hatte sich dort nämlich neben den Chefs der Abteilung . für strafrechtliche Ermittlungen fotografieren lassen – eine grobe und schamlose Drohung gegen jene, die ihn am nächsten Tag verhören sollten.

All dies erinnert mich an einen diplomatischen Empfang der ägyptischen Botschaft vor genau zehn Jahren. Ich traf dort die meisten Mitglieder der neuen Regierung, die gerade von Ehud Barak gebildet worden war. Alle waren deprimiert. Barak hatte etwas getan, das an Sadismus grenzt. Er hatte jeden Minister für ein Ressort benannt, das am wenigsten zu ihm paßte. Der freundliche und höfliche Professor Shlomo Bene-Ami wurde zum Minister ihr innere Sicherheit ernannt – wo es ihm während der Unruhen, die im Oktober 2000 ausbrachen, mißlang, die Polizei daran zu hindern, ein Dutzend arabischer Bürger zu töten. Yossi Beilin, ein Diplomat mit einem sehr schöpferischen Geist, ein natürlicher Kandidat für das Außenministerium, wurde zum Justizminister ernannt und so weiter.

Nun hat Netanyahu Barak übertrumpft. Die Ernennung Liebermans als Außenminister grenzt an Wahnsinn. Die Ernennung von Yuval Steinitz, einem Professor für Philosophie und einem persönlichen Freund von Netanyahus Frau Sarah, einem Mann, der keinerlei wirtschaftliche Erfahrungen hat, zum Finanzminister – noch dazu auf der Höhe der Weltfinanzkrise – überschreitet die Grenze zum Absurden. Die Ernennung der Nummer Zwei der Likudpartei, Silvan Shalom, für zwei untergeordnete Ministerien hat ihn zu einem Todfeind werden lassen. Die Schaffung einer langen Liste neuer und unbedeutender Ministerien nur um seine Freunde mit Jobs zu versehen, hat die Regierung in einen Straßenwitz verwandelt (»einen Minister für die ankommende Post und einen Minister für die abgehende Post«).

Einige Leute glauben, Lieberman sei gar kein neues Phänomen, sondern durch ihn kämen Züge an die Oberfläche, die schon die ganze Zeit vorhanden, doch unter einer dicken Schicht von frömmelnder Heuchelei verborgen gewesen seien. Lieberman erklärte, daß das Abkommen von Annapolis, das von Präsident Bush diktiert worden war, ungültig sei und daß nur die Road Map zähle. Die Sprecher des Außenministeriums beeilten sich mit einer Erklärung, daß die Road Map auch von »zwei Staaten« spreche. Sie vergaßen, die Welt daran zu erinnern, daß die israelische Regierung diesen Road-Map-Plan nur mit 14 Bedingungen »angenommen« hatte, die sie vollständig jeglichen Inhalts berauben. Ein Beispiel: Daß die Palästinenser zunächst die »terroristische Infrastruktur zerstören« müßten (Was ist das? Wer entscheidet darüber?), bevor Israel einen Schritt tun wird, einschließlich des Einfrierens des Siedlungsbaus. Das erinnert mich an den reichen Juden im Shtetl, der sein Testament diktierte und seinen Reichtum unter seine Verwandten und Freunde verteilte und dann hinzufügte: »Im Falle meines Todes ist dieses Testament null und nichtig.« Mittlerweile lebt sich Zipi Livni in ihrem neuen Job als Führerin der Opposition ein. Ihre erste Rede war kraftvoll und äußerst kritisch. Wir werden bald wissen, ob sie diesen Job mit Inhalt füllt. Werden ihre Reden über den Frieden sie schließlich selbst von dessen Wert überzeugen? Wird sie dann zu einer wirklichen Alternative zur Regierung Lieberman werden?

Aus dem Englischen von Ellen Rohlfs und Christoph; von der Redaktion gekürzt