Des Blättchens 12. Jahrgang (XII), Berlin, 27. April 2009, Heft 9

Einer von uns

von Henryk Goldberg

Irgendwann klopfte ich beim Filmspiegel an, ob sie eine Stelle für mich hätten. Ja, sie hatten: Ob ich nicht ihr stellvertretender Chefredakteur werden wollte? Eigentlich wollte ich nur ihr Filmkritiker werden; aber sie hatten mir ein Angebot gemacht, das ich nicht ablehnen konnte. Und: wollte.

Es gibt Leute, die erinnern sich, daß man den Filmspiegel an der einen oder anderen Stelle lesen konnte. Und es gibt Leute, die sagen, eine solche Position in einer populären Zeitschrift diente der Stabilisierung der DDR, und ein Mann in einer solchen Position müsse entweder ein Dogmatiker gewesen sein oder ein Opportunist oder eine Mischung aus beiden. Und sie haben alle recht. Das mag nicht schön sein, aber es ist die Wahrheit des Lebens.

Man kam nicht ins Gefängnis, wenn man nicht Mitglied der SED werden wollte, wenn man nicht Mitglied der Volkskammer werden wollte übrigens auch nicht. Man mußte noch nicht einmal Leitungsmitglied eines Rates des Kreises werden. Aber wenn man die Partei-Frage gefragt wurde und nein sagte, kam man auch nicht sehr viel weiter. Besser war, man war in einer Blockpartei. Die Blockpartei, das war für viele die SED-Vermeidungspartei. Man war gesellschaftlich engagiert, aber man war nicht in der SED, man mußte nicht nein sagen. Und in bestimmten Gegenden waren bestimmte Parteien besonders günstig. Im Eichsfeld zum Beispiel die CDU. Blockpolitik, da konnte man als Mitglied eine mittlere Karriere machen, man konnte etwas werden. Stellvertretender Schuldirektor zum Beispiel.

Ich hätte nicht Kulturredakteur des Neuen Deutschlands werden können, ohne Mitglied der SED zu sein. Dieter Althaus hätte nicht stellvertretender Direktor werden können, ohne wenigstens Mitglied der CDU zu sein. Aber ich hätte Dramaturg bleiben können und Dieter Althaus Lehrer. Doch junge Männer wie wir hatten andere Pläne, und Ehrgeiz hatten wir auch. Ich bekenne die leise Freude, meinen Ministerpräsidenten mit einem Plural vereinnahmen zu können, der uns beide einschließt. Wir von hier.

Und ein ganz klein wenig Schadenfreude ist auch dabei. Es ist die Schadenfreude, daß nun mein Ministerpräsident, wiewohl er es nicht direkt so sagt, um Verständnis für ein Menschenrecht werben muß, dem sehr viele durchaus offen gegenüber stehen: das Menschenrecht auf Opportunismus.

Das ist ein Recht, das sehr rege in Anspruch genommen wurde. (Und übrigens noch immer wird, ein Arbeitsplatz ist ein Arbeitsplatz, und eine Karriere ist eine Karriere). Man hätte sogar die Teilnahme am ÖKULEI (für unsere jungen Leser: Ökonomisch-kultureller Leistungsvergleich) verweigern können, ohne in den Knast zu müssen. Aber wer wollte schon Diskussionen wegen solchem Unsinn. Und wenn man mit sozialistischer Brigade dran war, mein Gott, schließlich gab’s Kohle, und manchmal war’s sogar lustig. Und wenn Erna gut malen konnte und Günter gern fotografierte, hatten wir ein schönes Brigadetagebuch. Und wenn ein Artikel besser durchging, wenn zweimal Sozialismus drin stand, mein Gott. Opportunismus war ein unauffälliger Teil unserer mentalen Grundausstattung, auffällig war nur das Gegenteil.

Es ist nur so, daß die öffentlichen Verlautbarungen der CDU davon bislang wenig zu wissen schienen. Die Auseinandersetzung mit der PDS, der LINKEN war nicht selten getragen vom unduldsamen Pathos derer, die zwanzig Jahre im Untergrund gegen das Regime gekämpft haben. In der Volksbildung oder in der Volkskammer. Das wird übrigens so bleiben, sie haben das Thema ja auf ihrem Parteitag laut entsorgt. Und dennoch ist der Ministerpräsident, ganz leise, angewiesen auf das Verständnis von uns übrigen Opportunisten. Es wird gewährt. Der Dieter ist doch einer von uns.