von Renate Hoffmann
Goethe, die Römer, Karl Marx, Decimus Magnus Ausonius, Kaiser Konstantin, die Bischöfe – und ich; die ich nach Trier fuhr, um durch die Stadt zu gehen, sie zu grüßen und weiter moselaufwärts zu wandern. Der Saar entgegen.
Mögen die Dichter das erste Wort haben. Ausonius beginnt. In einem Lobgesang pries er den Moselfluß: »Höhen, umkränzt mit des Weinstocks Grün, und – lieblich zu schauen – / Sacht hingleitend der Strom der friedlich murmelnden Mosel. – / … Dir dankt Trier, daß der Kaiser es gnädig erhoben zur Hofstatt; / Strom, an Bergen so reich mit duftverströmenden Reben, / Reich an Wiesen, gebettet in Grün, wie keiner der Flüsse.«
Goethen gefielen Stadt, Land und Fluß nicht minder. Doch spricht er mit gespaltener Zunge. Den 23. August 1792: »Die Stadt an sich hat einen auffallenden Charakter, sie behauptet, mehr geistliche Gebäude zu besitzen als irgendeine andere von gleichem Umfang, und möchte ihr dieser Ruhm wohl kaum zu leugnen sein … Auch dem weltlichen Regiment fehlt es nicht an schönen Besitztümern, … welche beweisen, daß zu verschiedener Zeit von hier aus die Herrschaft sich weit und breit erstreckte …« Der Blick auf »Fluß, Brücke, Mühlen, Stadt und Gegend – Weinberge machte anschaulich, in welcher gesegneten Gegend man sich befinde.« Zwei Tage später berichtet er seiner Christiane zusammenfassend: »Ich bin hier … in einem alten Pfaffennest, das in einer angenehmen Gegend liegt.«
Den Spätnachmittagsspaziergang im »alten Pfaffennest« beginne ich am römischsten aller Orte: der »Porta Nigra«. Diesem Trutzbau von einem Stadttor. Machtgehabe, Protz, Abwehr – alles in einem. Und Prunkstück der Baukunst. Man hat ihm die verbindenden Eisenhalterungen aus den Quadern geraubt. Wind, Wetter und Schadstoffe schwärzten seine ehemals hellen Sandsteinfronten – doch die Porta hielt Stand. Unangefochten seit dem 2. Jahrhundert, aber nicht unangetastet. Die Christenheit verlegte zwei Kirchen hinein. Eine über der anderen. Napoleon I. Bonaparte ließ zu Beginn des 19. Jahrhunderts alles Unrömische wieder hinauswerfen. Er tat gut daran.
Dem machttrotzenden Tor den Rücken gekehrt und die Simeonstraße entlang. Zum Hauptmarkt. In der milden Luft sind die Plätze der Straßencafes ringsherum begehrt und besetzt. Ich begnüge mich mit den Kaffee- und Kuchendüften und umrunde den Brunnen des Stadtpatrons Petrus. Hoch oben auf seiner Säule steht er und beäugt mit strenger Miene das lustvolle Treiben der Bürger und Touristen. Ihm zu Füßen mahnen vier üppige schöne Frauen ein tugendhaftes Betragen an. Sie vertreten die Mäßigung, dje Klugheit, Gerechtigkeit und Stärke. Was die Mäßigung betrifft, so galt Petrus nicht eben als Vorbild. Schlug er doch dem Knecht Malchus, der ihm nichts getan hatte, das Ohr ab. Allerdings geschah dies lange Zeit, bevor der Brunnen 1595 dem Apostel zu Ehren errichtet wurde.
Unter den ansehnlichen, von Reichtum zeugenden Marktgebäuden stellt das »Rote Haus« nicht nur seine weithin leuchtende Pracht zur Schau – sondern auch eine eklatante Angeberei. An der Barockfassade prangt folgende Inschrift: »ANTE ROMAM TREVERIS STETIT ANNIS MILLE TRECENTIS PERSTET ET AETERNA PACE FRUATUR. amen!« (Vor Rom stand Trier eintausenddreihundert Jahre; möge es fortbestehen und sich ewigen Friedens erfreuen, amen!) Gegen den Fortbestand der Stadt ist nichts einzuwenden.
Aber Trier vor Rom … das gleicht einer historischen Blasphemie. Konstantin I., auch »der Große« genannt (272 [?]-337) beherrscht das städtische Terrain. Was sind gegen ihn Durchreisende wie Chateaubriand, Goethe, Schinkel … Die von Konstantin hinterbliebene »Aula Palatina« gilt als Teil einer vormals großen Palastanlage. Der mächtige Ziegelbau nötigt Staunen ab. Hochziehende Arkaden umfangen die klaren Linien der rundbogigen Fenster. In der nach Norden vorgeschobenen Apsis stand einstens zu Festen und Staatsakten der kaiserliche Thron. Mancherlei Nutzungen, Veränderungen, Verfall und Zerstörung gingen über das Bauwerk hinweg. Im 19. Jahrhundert wurde es zur »Konstantin-Basilika« und eignet nun der evangelischen Kirchengemeinde Trier.
Neugier treibt mich, am wuchtigen Eingangstor die Klinke zu drücken. Verschlossen. Ich versäumte die Besichtigungszeit. Wenig entfernt, nur um die Ecke und der Palast-Aula nachbarlich verbunden, empfängt das kurfürstlicher Palais. Als Südflügel eines Renaissance-Schlosses, läuft es mit der Beschwingtheit des Rokoko der dräuenden Konstantin-Basilika den Rang ab. Eine tändelnde Schöne, deren Verspieltheit der Palastgarten weiterführt.
Über ihn breitet sich allmählich Dämmerung. Stadtlichter flammen auf. Um die spätantike Ära würdig zu beschließen, eile ich durch die Südallee zur Römerbrücke. Vorbei an den »Barbara-Thermen«. Jenem Luxusbad vergangener Tage mit Innenhöfen, Säulenhallen, Marmorfußböden, Skulpturen, Mosaiken und Malereien. Stätte römischer Badekultur. Schattenhaft ragen ihre Reste in den Abendhimmel.
Im Moselfluß schaukeln Lichter auf den flachen Wellen. Von den sieben Brückenpfeilern entstammen noch fünf der ursprünglichen Bauzeit, die man im 2. Jahrhundert vermutet. Da ich nicht sicher bin, ob ich mich über einem christlichen oder einem römischen Pfeiler befinde, überquere ich die Brücke in ihrer ganzen Länge und betrachte das nächtliche Trier wohlgefällig vom linken Ufer aus.
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