von Heribert Prantl
In der Washington Post schrieb unlängst Steven Pearlstein, Pulitzer-Preisträger von 2008, einen herzhaften Kommentar zum 800-Milliarden-Dollar-Programm der Regierung Obama und dem wirtschaftlichen Unverstand der Politiker. Er schlug vor, aus dem Programm 50 Millionen abzuzweigen, um damit dem ökonomischen Analphabetismus im US-Kongress abzuhelfen. Das ist eine Forderung, in welche die sogenannten Wirtschaftsweisen in Bezug auf den deutschen Politikbetrieb sicher gerne einstimmen.
Politiker müssen keine Ökonomen sein. Die Vorstellung, von Hans-Werner Sinn vom Münchner Ifo-Institut regiert zu werden, ist mindestens so furchtbar wie die, dass aus Leitartikeln Gesetze gemacht werden. Natürlich sollen Politiker Fachleute sein – zuvorderst aber Fachleute für Verantwortung. Demokratie hat viel mit Verantwortung zu tun.
Das bedeutet, dass erstens nicht die Interessen der Kapitalverwertung, sondern die Interessen der Bürger Grundlage für Entscheidungen sind. Das bedeutet zweitens, dass dem Markt neue Regeln gesetzt werden müssen. Demokratien können nicht Geld im Umfang von halben Staatshaushalten in eine Satansmühle werfen und dann zuschauen, wie sich die auf die alte Weise weiterdreht.
Verantwortung bedeutet, Rechenschaft abzulegen. Bei den Beinahe-Konkursen der Landesbanken im Süden und im Norden der Republik passiert das Gegenteil. Politiker, die in den Aufsichtsgremien dieser Banken zur Überwachung von Geschäftsführung und Vorstand eingesetzt waren, verweigern diese Rechenschaft. Bayerns Ex-Finanzminister Kurt Faltlhauser (CSU) hat schon vor einiger Zeit gestanden, „dem Heer der blinden Lemminge“ gefolgt zu sein; aber persönlich vorzuwerfen habe er sich nichts.
Genauso redet jetzt Ralf Stegner, der SPD-Landeschef von Schleswig-Holstein. Die Frage nach der politischen Verantwortung für das Milliardendesaster der Nordbank diskreditiert er als sinnlose Suche nach einem „Buhmann“. Die Weigerung, über Verantwortung auch nur nachzudenken, ist demokratieschädlich.
Zur Verantwortung gehört schließlich die Erkenntnis, dass die Wirtschaftskrise zu groß ist, um sie mit den alten politischen Ritualen zu bewältigen – Ritualen, die darauf hinauslaufen, den politischen Gegner zu verketzern. Die Demokratie ist nicht so unerschütterlich, als dass sich Sorgen über ihren Bestand erübrigen. Vielleicht ist ja der Aschermittwoch der falsche Tag für eine solche Warnung. An diesem Tag haben Politiker sich noch nie Asche aufs Haupt gestreut, wie es sich eigentlich gehört.
Der Aschermittwoch war für sie noch nie ein Tag der Besinnung und der Bußfertigkeit, wie es die christliche Religion verlangt. Dieser Tag ist seit jeher der verspätete Fasching der Politik: ein Gaudium zum Bier. Nicht jeder Unsinn aber ist ein Gaudium. Guido Westerwelle warf in seiner Passauer Aschermittwochsrede der großen Koalition vor, in Deutschland eine „DDR light“ einzurichten. Das Phänomen, dass der Kapitalismus verliert, die FDP aber gewinnt, ist keine Rechtfertigung für rhetorische Verantwortungslosigkeit.
Es geht derzeit auch um die Rettung von Opel und der Arbeitsplätze dort. Den Leuten ist die reine Lehre der Marktwirtschaft, zu deren Hüter Westerwelle sich aufwirft,ziemlich egal. Es geht ihnen nicht darum, wie Opel künftig firmiert, sondern dass die Firma überhaupt firmiert. Ob dies – der Arbeitsplätze wegen – irgendwie vernünftig zu bewerkstelligen ist, sollte nicht mit dem Maßstab einer reinen Lehre gemessen werden, sondern mit dem der politischen Verantwortung für Menschen, die Angst haben, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Für sie, für die kleinen Leute, hat sich Horst Seehofer in Passau ins Zeug geworfen. Vor einem Jahr war der heutige CSU-Chef noch eher Außenseiter in seiner Partei. Nun steht er trotz Grippe da mit einer gelassener Souveränität und aufreizenderSelbstzufriedenheit, wie es sie in der CSU lang nicht mehr gegeben hat; in Passau nicht mehr seit Franz Josef Strauß. Stoiber, Huber und Beckstein hatten auf der Aschermittwochs-Bühne sehr laut geredet und viel geschwitzt. Seehofer kokettiert, poltert, gurrt – in der ersten Hälfte seiner Rede jedenfalls, bevor die Grippe ihn wegrafft; manchmal redet er süffisant und manchmal saudumm daher. Sticheleien gegen Merkel und Hiebe gegen die Linkspartei gehören zum Repertoire. Auf die Großkrise hat Seehofer freilich auch keine Antwort. Aber er strahlt dabei einen fast unverschämten Optimismus aus, gerade so, als wäre er ein Ludwig Erhard mit anderen Mitteln. Solche Ausstrahlung ist noch keine verantwortliche Politik. Aber es gibt Schlimmeres, was man über einen Politiker sagen kann.
Mit freundlicher Genehmigung aus »Süddeutsche Zeitung« vom 26.2.2009
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