von Artur Nickel
Den Anfang bildete eine einfache Serviette. Auf ihr stehen in einer Spirale nach innen gewunden die Worte: »Zweierlei muß ich für den Rest meines Lebens im Auge behalten: mein Gewicht und meinen Rassismus.« Es ist ein Multiple, das der New Yorker Künstler Cary S. Leibowitz geschaffen hat. Dieses Multiple wurde jetzt zum Ausgangspunkt eines schulischen Reflexionsprozesses, der den Bildungsprozeß, wie er in Deutschland propagiert und praktiziert wird, auf den Kopf stellt. Wie das geschieht, zeigt der von Leo van Treeck herausgegebene Sammelband Gewichtsprobleme? SELBSTaussagen zum RASSISMUS, der im Geest-Verlag in Vechta erschienen ist. Er versammelt Texte, die Jugendliche an der Erich-Kästner-Gesamtschule in Essen unter der Anleitung ihres Philosophielehrers Peter Gutsche geschrieben haben und die sich mit dieser Serviette und ihrem Anliegen auseinandersetzen.
Nicht der »Lernstoff« steht in diesem Buch im Vordergrund, sondern der Mensch, das Ich. Und ehe man sich versieht, ist man als Leser in diesen Reflexionsprozeß hineingezogen. Schon beim Betrachten des Multiples geschieht es, setzt sich der eigene Reflexionsprozeß in Bewegung: Wer bin ich? Woher komme ich? Wohin gehe ich? Was bewegt mich? Was bestimmt mich? Was will ich? Was will ich definitiv nicht? Es geht in diesem Buch um die eigene Standortbestimmung, um die Auseinandersetzung mit dem eigenen Rassismus und, davon ausgehend, mit den Vorurteilen, mit denen man im eigenen Umfeld konfrontiert wird. Also um Schritte der Selbstbestimmung und der Selbstbehauptung, die notwendig sind, um eine lebenswerte gemeinsame Zukunft zu gewinnen. Gerade die Zusammenschau der verschiedenen Texte macht das Buch interessant. Die vielen Perspektiven, aus denen heraus die Anfragen der Jugendlichen nach dem eigenen Rassismus den Leser erreichen! Woher sie auch immer stammen! Wo sie auch immer groß geworden sind! Welche schulischen und nichtschulischen Lebenswege sie auch immer bisher gegangen sind! Sie fragen nach Grenzen, nach (Vor-)Urteilen, nach dem Ich, dem Verhältnis zu sich und zu den Mitmenschen, die Dimensionen unter der Gürtellinie mit eingeschlossen. Kein Wunder also, daß gerade die Weiße-Rose-Stiftung aus München, die dem Vermächtnis der Geschwister Scholl verpflichtet ist, das Projekt unterstützt.
Leo van Treeck (Hrsg.), Peter Gutsche (Idee und Durchführung): Gewichtsprobleme. SELBSTaussagen zum RASSISMUS, Geest-Verlag Vechta 2008, 302 Seiten, 12 Euro
Schlagwörter: Artur Nickel, Rassismus