von Franz Schandl, Wien
Affirmation ist das Gegenteil von Kritik, zweifellos. Doch ist Kritik deswegen das Gegenteil von Affirmation? Ist dieser Umkehrschluß nicht zu banal, vor allem dazu da, im kritischen Betrieb sich im Widerspruch zu sonnen, ohne zu ahnen, daß jener gar nicht so weit vom Kritisierten entfernt ist, wie er vorgibt? Kritik ist, auch wenn es die Kritiker nicht gern hören, so kritisch wiederum nicht. Nicht selten ist sie lediglich Stachel der Affirmation, deren Avantgarde, nicht deren Alternative. Eine Impfung. Kritisieren und Affirmieren können nicht einfach als antagonistisch aufgefaßt werden. Zumeist sind sie sich befruchtende Momente der Totalität.
Kritik ist auch immer Teil des Objekts, das sie kritisiert. Aber aufgepaßt: auch, nicht jedoch: bloß. Denn Kritik hat eine Potenz zur Transzendenz, auch wenn ihr hauptsächlicher »Nutzen« der einer immanenten Vorhut ist. Nötig, um Varianz und Modernisierung zu ermöglichen. Kritik und Affirmation mögen Gegenteile sein, Gegensätze sind sie nur ausnahmsweise. Säuberliche Trennungen in Affirmatiker und Kritiker sind ein Wunschbild absonderlicher Distinktion. Wie sollten jene auch statthaben? Auf welche Kriterien sollte man sie fokussieren? Kritik, will sie sich gerecht werden, versteht sich als elementare Differenz, aber nicht als Konkurrenz zur Affirmation auf gleicher Geschäftsgrundlage. Indes kann sie sich diese Basis, auf der die Auseinandersetzung stattfindet, nicht aussuchen. So agiert Kritik auf doppeltem Boden, einerseits verhaftet im Gegenstand, andererseits abgehoben, nicht auf festem Boden stehend. In diesem liegt ihre Qualität, in jenem aber ihre existentielle Bedingung.
Das Dilemma läßt sich auch so beschreiben: Sobald Kritik in Konkurrenz zur Affirmation tritt – und das muß sie – spielt erstere nach den Spielregeln zweiterer. Die Konsequenzen sind auf den ersten Blick fatal. Wenn Kritik auf ihre konkurrenzistischen Aspekte regrediert, ist es um sie geschehen. Macht Kritik hingegen wirklich auf intransigent, wird sie dogmatisch und sektiererisch. Kritik versucht sich also in einem prekären Dazwischen, das nicht allzu oft größeren Raum freigibt. Sie agiert meist an der Kippe. Geglückte Kritik ist eine Frage der Situation und keine der Kontinuität. Dort, wo Kritik gelingt, steht sie am Abgrund. Kritik ist nicht Emanzipation, sondern deren Bedingung. Letztlich ist auch nicht theoretisch zu lösen, was Aufgabe der praktischen Umwälzung ist. »Die Wahrheit dieser Gesellschaft ist nichts anderes als die Negation dieser Gesellschaft«, schreibt Guy Debord.
Es gibt heute ein starkes affirmatives Interesse an Kritik. Vergessen wir nicht: Kein Mainstream, der sich nicht als Kritik gebärdet. Jede Oberfläche ein Underground, jeder Bestseller ein Geheimtip. Affirmation hat Kritik vielerorts usurpiert. Affirmation wird durch Kritik nicht in Frage gestellt, sondern verbessert. Diese soll in jener Dienst gestellt werden. Jeder etwas weitsichtige Politiker hält sich einen Stamm professioneller Kritiker und »fördert« sie. Praktizierende Affirmation strahlt in der Aura instrumentalisierter Kritik.
Hier begänne freilich etwas, das sich Kritik der Kritik nennen ließe, eine noch weitergehende Reflexion, die nur angedeutet werden kann. Die blinden Flecken kritischer Selbstsicht müßten herausgearbeitet werden. Der Kritiker als Kandidat des Dagegenseins muß einerseits aufpassen, nicht zum Hofnarren der Herrschaft zu werden, zu einem Kabarettisten wider Willen, der dem Bestehenden die Stichworte liefert. Es gibt heute eine kritische Pose, deren affirmativer Subtext jeweils offenzulegen wäre. Andererseits läuft der Kritiker aber auch stets Gefahr, zum absoluten Outsider, zu einem theoretischen Simandl zu werden, dessen Kennzeichen in der Weggetretenheit besteht.
Treiben es affirmative Kritiker auf allen Festen, werden die anderen erst gar nicht eingeladen. Prinzipialismus ist hier fehl am Platz, der Affirmation kann niemand entgehen. Das sollte man wissen. Aber es braucht sich deswegen auch niemand auszuliefern. Das sollte man durchsetzen. Praktische Kritik hieße, die objektiven Schranken zu erkennen, sie aber nicht gleich subjektiven Beschränkungen als unsere Grenzen anzuerkennen. Und etwas zu tun, um diese zu überschreiten. So sei’s!
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