von Wladislaw Hedeler
Im Dezember 1917 wurde aufgrund der zwischen Rußland und Deutschland geschlossenen Vereinbarung über den Austausch von Zivilgefangenen nach zweieinhalbjähriger Haft der Kaufmann Alexander Neumeyer aus der Krankenstation des Zellengefängnisses Moabit entlassen. Neumeyer war einer der zahlreichen Decknamen, deren sich der Leiter der Kampforganisation der Partei der Sozialrevolutionäre und Spitzel der Ochrana, der Geheimpolizei des Zaren, Ewno Asef bedient hatte. Nach Abschluß des Gymnasiums hatte er Rußland verlassen, um in Karlsruhe Elektrotechnik zu studieren. Als das Geld knapp geworden war, hatte er dem Polizeidepartement in Rußland seine Dienste angeboten. Asefs Berichte über seine russischen Kommilitonen, ihre Reisetätigkeit, Parteikontakte, konspirative Treffen und Literaturtransporte nach Rußland waren immer besser honoriert worden.
Den Genossen in der Partei der Sozialrevolutionäre war der Leiter der Kampforganisation als Valentin bekannt, die Ochrana, als deren Topagent er tätig war, führte ihn unter dem Namen Rasskin. Um seine gewinnbringende Doppelrolle ungehindert weiterspielen zu können, lieferte er Parteifreunde ans Messer und organisierte über dreißig Attentate auf Regierungsmitglieder; zu den spektakulärsten gehörte das auf den Innenminister Plehwe im Juli 1904.
Als Asew im Juni 1908 Rußland für immer verließ, hatte der Journalist Wladimir Burzew genug Beweise für dessen Doppelleben zusammengetragen. Er hatte auch entscheidenden Anteil an der Entlarvung von anderen Spitzeln und Provokateuren im Umfeld der Sozialrevolutionäre. Wegen seines schwerwiegenden Verdachtes wurde Burzew vom Parteigericht vorgeladen. Die Beweise, die er gegen Ewno Asew vorlegte, waren jedoch stichhaltig – das Gericht sprach ihn vom Vorwurf der Verleumdung frei. Daraufhin verlangten die linken Abgeordneten in der Duma Aufklärung über die V-Leute der Ochrana, die als Agent provocateur konspirative Zirkel und Druckereien einrichteten und illegale Waffenlager anlegten. Die rechten Abgeordneten hingegen verteidigten diese Unterwanderungsstrategie.
Von seinen Kampfgefährten zur Rede gestellt, floh Asew aus Frankreich nach Deutschland. Künftig bildeten diese nach Rache dürstenden Genossen für ihn die größte Gefahr.
Vielleicht waren auch sie es, die der Berliner Kripo die entscheidende Information über den »gefährlichen Terroristen und Anarchisten« zugespielt hatten. Kriminalbeamte hatten den unauffälligen Kaufmann am 12. Juni 1915 in der Nähe seiner Wohnung am Hohenzollerndamm verhaftet. Alle mit dem Klarnamen unterzeichneten Erklärungen und Eingaben an die Gefängnisverwaltung hatten nicht die erhoffte befreiende Wirkung. »Meine Zugehörigkeit von Mitte 1906 bis 1908 (Ende) zum Zentralkomitee der russischen Socialrevolutionären Partei erfolgte nur deshalb, um damit leichter der russischen politischen Polizei zu dienen, und mit Wissen der Organe der russischen Regierung«, schrieb er am 7. Februar 1916. »Infolge der vollzogenen politischen Umwälzung in Rußland, welche eine vollständige Amnestie aller politischen Verbrechen einschließlich aller revolutionären und terroristischen Attentate mit sich brachte, ist der Grund, weshalb man mich, als ein früheres Mitglied des Centralkomitee der russischen Social-Revolutionären Partei nach den Bestimmungen des Petersburger Geheimabkommens über die Überwachung der anarchistischen Bewegung seit Juni 1915 in der Einzelhaft eines Gefängnisses hält, hinfällig geworden«, wandte sich Asew am 10. April 1917 mit einer Bittschrift an das Polizeipräsidium.
Nach seiner Entlassung, inzwischen waren in Rußland die Bolschewiki an der Macht, blieb ihm der Weg in die Heimat versperrt. Asew plante, den Berliner Stadtbezirk, in dem sich viele russische Emigranten angesiedelt hatten, zu verlassen und in die Schweiz zu ziehen. Doch die Haft hatte seine Gesundheit dermaßen untergraben, daß er in ein Berliner Krankenhaus gebracht werden mußte. Fünf Tage nach seinem Tod wurde Ewno Asef am 29. April 1918 in einer Grabstätte zweiter Klasse auf dem Friedhof in Wilmersdorf beigesetzt. Keine einzige Zeitung, notiert Boris Nikolaewsky am Ende seiner Asew-Biographie, brachte die Mitteilung von seinem Tode. (Boris Nikolajewsky: Asew. Die Geschichte eines Verrats, Berlin Bücherkreis 1932)
Der Heckenrosenstrauch, den Asews Freundin an der Grabstelle pflanzte, ersetzte den Stein. Wo der Gejagte seine letzte Ruhe fand, können Friedhofsbesucher heute nur ahnen. Der Überlieferung nach wurde er in der Nähe der heute noch erhaltenen Grabsteine aus der Zeit des Ersten Weltkrieges auf dem Grabfeld 3 beigesetzt. Unweit des längst eingeebneten Grabes Nr. 16 in Reihe 5 steht inmitten von Lebensbäumen und Nadelholzhecken eine Bank. Ein Trampelpfad führt zur Zisterne im Schatten der Bäume, im Sommer können hier Gießkannen aufgefüllt werden. An diesem Novembertag kommt kaum jemand in diesen Friedhofsbereich, nur der Wind trägt das Glockengeläut von den Zwiebeltürmen der russisch-orthodoxen Kathedrale Christi Auferstehung herüber.
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