Des Blättchens 11. Jahrgang (XI), Berlin, 22. Dezember 2008, Heft 26

Jaruzelski

von Holger Politt, Warschau

Aleksander Kwasniewski, von 1995 bis 2005 Polens Staatsoberhaupt, trat, um Wojciech Jaruzelski zu verteidigen, mit einem stichhaltigen Argument vor die polnische Öffentlichkeit. Es verwundere, so Kwasniewski, daß jene, die – obwohl das Land inzwischen ein stabiles NATO- und EU-Mitglied sei – bei jeder sich bietenden Gelegenheit die russische Gefahr an die Wand malten, aber im Falle der Situation, in der sich Polen Ende 1981 befand, sofort zu wissen vorgeben, eine Gefahr des Einmarsches der Truppen des Warschauer Vertrags habe überhaupt nicht bestanden, und der Verweis darauf sei eine bloße Schutzbehauptung der Autoren des Kriegsrechts, um der verdienten Strafe zu entgehen.
Kwasniewskis Logik ist schlüssig, denn wer wollte ernsthaft behaupten, daß die Sowjetunion der Breshnew-Ära wenige Jahre nach dem Einmarsch in die CSSR und kurz nach der Intervention in Afghanistan nicht mit einer militärischen Lösung der in Polen sich über Monate aufgeschaukelten komplizierten politischen Situation spielte? (Siehe dazu auch: Gerd Kaiser: Der Prozeß, Das Blättchen 23/2008) Erst Gorbatschow war es Ende der achtziger Jahre vorbehalten, die Breshnew-Doktrin in die Rumpelkammer der Geschichte zu schieben. Den Todesstoß aber dürfte der unseligen Doktrin ohne Zweifel das Polen Jaruzelskis und Walesas versetzt haben.
Das polnische Springer-Boulevardblatt Fakt titelte nun dreist: »Polens Nürnberg« – damit wird auf einen gezielt, der 1945 unter Einsatz seines jungen Lebens als Befreier nach Berlin, nach Deutschland zog.
Lech Walesa, Staatspräsident von 1990 bis 1995 und damit im Amt unmittelbarer Nachfolger Jaruzelskis, verwies jetzt darauf, daß Karol Wojtyla ihn bei jeder persönlichen Begegnung nach dem Befinden des Generals gefragt habe. Er selbst, so Walesa wie gewohnt ohne Umschweife, sei anfangs irritiert gewesen, habe im Laufe der Jahre jedoch akzeptieren gelernt, daß der Papst mit seiner Frage nicht den Falschen meinte. Repliken aus den Reihen des Episkopats bezweifeln indes entschieden, daß Polens Papst in der Frage gut oder böse nicht recht zu scheiden verstanden haben sollte.
Polens aktueller Beauftragter für Menschen- und Bürgerrechte, der noch in der Kaczynski-Zeit ins Amt berufen wurde, meinte in einer vielgesehenen Fernsehsendung ganz in diesem Geiste, daß Jaruzelski ein Verbrecher sei, der vor ein unabhängiges Gericht gestellt gehöre und die Höchststrafe verdiene.
Ins gleiche Horn stößt Antoni Dudek, ein kühl abwägender Historiker und Berater des Instituts für Nationales Gedenken (IPN), der meint, Jaruzelski habe überhaupt wie ein Provinzgouverneur der UdSSR gehandelt. Als Beweis dient ihm ein Gesprächsprotokoll, demzufolge Jaruzelski nach Übernahme der Funktion des Ersten Sekretärs der PVAP Breshnew telefonisch mitteilte, er werde als Kommunist und Soldat alles tun, um die Probleme zu lösen. Damit sei, so Dudek, das Kartenhaus, Jaruzelski hätte aus patriotischer Pflicht gehandelt, zusammengefallen. Denn Kommunist und Patriot, so die Logik des Historikers, gingen im Polnischen nicht zusammen.
Täuscht mich nicht alles, stärkt der laufende Prozeß die ohnehin in der Gesellschaft vorhandenen Sympathien für Wojciech Jaruzelski. Die Art, wie er sich dem Gericht stellt, nötigt vielen, auch jüngeren Menschen Respekt ab. Sie wünschen ganz einfach nicht, daß Strafgerichte darüber befinden, wie jüngste Geschichte gewesen sein soll. Und sie ahnen, daß die laufende und herrschende Politik es ist, die sich da vor den Schranken des Gerichts blamiert.