Des Blättchens 11. Jahrgang (XI), Berlin, 22. Dezember 2008, Heft 26

Herrliche Aussichten

von Erhard Crome

Wenn die Regierenden zum Jahresende Botschaften des Frohsinns zu verbreiten bemüht sind, weiß der gemeine Mensch, er wird belogen. Angela Merkel hat nun mehrmals mitzuteilen gewußt, das Jahr 2009 werde das Jahr der schlechten Nachrichten. Kann man nun einfach davon ausgehen, daß das Gegenteil von dem Gesagten eintreten wird: Also, alles nicht so schlimm? Wohl kaum.
Eher wird gelten: Es wird schlimmer kommen. Sie weiß, daß es noch schlimmer kommen wird, und der Satz von den schlechten Nachrichten soll schon mal darauf einstimmen. Vielleicht soll es sie auch nur exkulpieren: Vorsorglich – es sind ja Wahlen in diesem 2009er Jahr – verweist sie darauf, sie sei nicht schuld, wenn es noch schlimmer kommt. Es kommt eben, es überkommt uns. Man könne nichts tun.
In China stehen die Häfen voller Waren, die nicht verschifft werden. Es gibt keine Käufer in Nordamerika und Westeuropa. Die chinesischen Arbeiter protestieren. Offiziell gibt es keine kritischen Gewerkschaften, doch die Arbeiter protestieren trotzdem. Partei und Staat hatten mit der Krise nicht gerechnet; es gibt kaum Institutionen, die für einen solchen Fall geeignet sind. Das System war auf die ständige Prosperität gebaut. So zahlen jetzt die örtlichen Behörden ausstehenden Lohn und die Fahrkarte aus der Sonderwirtschaftszone in das Heimatdorf. Umgekehrt stehen in den USA und Deutschland die Autos herum, die in China oder sonstwo keine Käufer finden. Die Zeitarbeiter werden hierzulande zuerst entlassen. Für die anderen wird Kurzarbeit angeordnet, mit Lohnverzicht. In der Stahlindustrie wird entlassen, weil die Aufträge der Autoindustrie ausbleiben. Die Lackfabriken stellen Produktionslinien ein. Es gibt weniger Autos zu spritzen.
Der Übergang von der Finanzkrise zur Wirtschaftskrise ist im Gange und beschleunigt sich. Die alten Aufträge werden noch ausgeführt. Aber nicht alle, etwa im Schiffbau, sind sich sicher, daß der Auftraggeber auch noch solvent ist und zahlen kann, wenn das Schiff fertig ist. Der Eingang neuer Aufträge geht stark zurück. Das Bundeswirtschaftsministerium teilte einen Rückgang der Auftragseingänge für die deutsche Industrie um 8,3 Prozent im September und 6,1 Prozent im Oktober mit. Das ist der Rückgang der Produktion im nächsten Quartal, im nächsten Jahr. Es wird so weitergehen. Die Deutsche Bundesbank rechnet mit einem Rückgang des Bruttoinlandsproduktes 2009 von 0,8 Prozent. Das reicht nicht, heißt es aus der Deutschen Bank, es werden wohl um die vier Prozent sein.
Die große Debatte ist, was denn nun getan werden kann. Die Bundesregierung hat mit großer Geste das »Rettungspaket« von 500 Milliarden Euro für die Banken geschnürt. Das »Konjunkturprogramm« für die Realwirtschaft war zunächst mit elf Milliarden Euro veranschlagt, gestreckt über zwei Jahre, dann mit 32 Milliarden. Darunter ist die Befreiung privater Haushalte von der Kfz-Steuer für Neuwagen – als würde sich in diesen Zeiten jemand für 30000 Euro ein neues Auto kaufen, nur um 660 Euro Steuern zu sparen. In China hat die Zentralregierung ein Konjunkturprogramm von umgerechnet 470 Milliarden Euro beschlossen; die Provinzregierungen haben noch einmal 1,2 Billionen Euro draufgelegt. Es wird in das Schienen- und Straßennetz investiert, in Häfen und Wohnungsbau und die ländliche Infrastruktur. Die Idee ist, daß die Exportabhängigkeit Chinas durch eine drastische Steigerung der Inlandsnachfrage kompensiert werden soll.
Obama hat angekündigt, in den USA 2,5 Millionen Arbeitsplätze zu schaffen. Das Konjunkturprogramm wird nach Schätzung von Experten etwa tausend Milliarden US-Dollar kosten. Es wird in das Verkehrsnetz und in die Energiesysteme investiert, die Schaffung von Arbeitsplätzen soll mit einer Modernisierung unter anderem der Energiesysteme verbunden werden. Zugleich soll eine zielgerichtete Förderung alternativer Energieerzeugung die Abhängigkeit der USA von den fossilen Energieträgern verringern, was auch außenpolitisch eine deutliche Abkehr von den Prämissen der Politik von Bush II und Cheney bedeutet.
Aus der deutschen Regierung dagegen heißt es, wer jetzt große Investitionsprogramme auflege, »verbrenne Geld«. Der Staat solle sich auf seine »Ordnungsfunktion« beschränken und nicht als Unternehmer agieren. Nachdem Deutschland dem Neoliberalismus zunächst zögerlich hinterherlief – Schröder machte die »Reformen«, die in Großbritannien Frau Thatcher schon zwanzig Jahre früher gemacht hatte –, wollen die hiesigen Entscheider nun die letzte Bastion dieses Glaubens sein. Weltweit wird festgestellt, daß der Neoliberalismus abgewirtschaftet hat, nur hier findet eine wundersame Fortzeugung seiner Glaubenssätze statt.
Und die Menschen auf der Straße? Zunächst findet eine Verdrängung statt. In die Mikrophone der Aufnahmeteams des Fernsehens sagen die Leute in Deutschland noch trotzig: Wir spüren die Krise nicht. Es geht auf Weihnachten zu. Darin steckt Hoffnung und Erwartung gegenüber den Regierenden. Und wenn die schwinden? In Athen hatten Straßenschlachten Jugendlicher mit der Polizei, nachdem ein 15jähriger von einem Polizisten erschossen wurde, binnen dreier Nächte Sachschäden in Höhe von über einhundert Millionen Euro zur Folge. Banken, Geschäfte, Autohäuser und öffentliche Gebäude wurden in Brand gesetzt und verwüstet. In den USA waren die billigen Kredite für die Armen – deren Zusammenbrechen am Anfang der Finanzkrise stand – die Kompensation für die Abschaffung der alten Sicherungssysteme durch den Neoliberalismus. In Griechenland gab es nicht einmal das. Das Versprechen, es würde besser mit dem Markt, verhallte und blieb leer. Perspektivlosigkeit der Jugend, auch bei guter Ausbildung, wird als einer der Auslöser der Unruhen angesehen. Erst war es in Frankreich, jetzt in Griechenland. Das Jahr 2009 wird das Jahr der schlechten Nachrichten in Deutschland, hat die Kanzlerin gesagt. Na, dann: Frohe Weihnachten!