Des Blättchens 11. Jahrgang (XI), Berlin, 22. Dezember 2008, Heft 26

Denkschrift für Obama

von Uri Avnery, Tel-Aviv

1. Was den israelisch-arabischen Frieden betrifft, sollten Sie von Tag eins an handeln.

2. Die israelischen Wahlen finden im Februar 2009 statt. Sie könnten einen indirekten, aber wichtigen und konstruktiven Einfluß auf das Ergebnis haben, indem Sie Ihre unmißverständliche Entschlossenheit verkünden, 2009 einen israelisch-palästinensischen, einen israelisch-syrischen und einen israelisch-gesamtarabischen Frieden zu erreichen.

3. Leider haben alle ihre Vorgänger seit 1967 ein doppeltes Spiel getrieben. Während sie für den Frieden Lippenbekenntnisse abgaben und zuweilen scheinbar Schritte in Richtung Frieden machten, unterstützten sie in der Praxis unsere Regierungen und gingen so in die falsche Richtung. Insbesondere waren sie stillschweigend mit dem Bau und der Vergrößerung der israelischen Siedlungen in den besetzten palästinensischen und syrischen Gebieten einverstanden. Jede der Siedlungen ist eine Landmine auf dem Weg zum Frieden.

4. Alle Siedlungen sind nach dem Völkerrecht illegal. Die Unterscheidung, die manchmal zwischen »illegalen« Außenposten und anderen Siedlungen gemacht wird, ist ein Propagandatrick …

5. Alle seit 1967 gebauten Siedlungen sind ausdrücklich zu dem Zweck gebaut worden, einen palästinensischen Staat – und so auch Frieden – unmöglich zu machen, weil das Gebiet des zukünftigen Staates Palästina in Streifen und Stücke geschnitten wurde. Praktisch haben alle Regierungsabteilungen und die Armee offen oder insgeheim beim Bauen, Festigen und Erweitern der Siedlungen geholfen – wie ein Bericht der Anwältin Talia Sasson für die Regierung (!) im Jahre 2005 bestätigt.

6. Bis jetzt hat die Zahl der Siedler in der Westbank etwa 250000 erreicht (abgesehen von den 200000 Siedlern im Raum Groß-Jerusalem, deren Status etwas anders ist.) Sie sind politisch isoliert und werden von der Mehrheit der israelischen Öffentlichkeit abgelehnt – sogar verabscheut. Sie werden aber von der Armee und den Regierungsministerien unterstützt.

7. Keine israelische Regierung würde es wagen, sich gegen die konzentrierte politische und materielle Macht der Siedler zu stellen. Solch eine Konfrontation würde eine sehr starke Führung und die uneingeschränkte Unterstützung des Präsidenten der USA voraussetzen, damit sie eine Chance auf Erfolg hat.

8. Solange dies fehlt, sind alle Friedensverhandlungen Heuchelei. Die israelische Regierung und ihre US-Unterstützer haben alles getan, um zu verhindern, daß die Verhandlungen zu Abkommen mit den Palästinensern und den Syrern führen, aus Furcht vor einer Konfrontation mit den Siedlern und deren Unterstützern. Die gegenwärtigen »Annapolis«-Verhandlungen sind so nichtssagend wie alle vorausgegangenen. Jede Seite macht bei dem Spiel mit, jede aus eigenen politischen Interessen.

9. Die Clinton-Regierung und noch mehr die Bush-Regierung erlaubten der israelischen Regierung, dieses Spiel fortzuführen. Deshalb ist es dringend notwendig, Mitglieder dieser Regierungen daran zu hindern, die Nahost-Politik in die alten Kanäle zu lenken.

10. Es ist sehr wichtig für Sie, einen völlig neuen Start zu machen und dies auch öffentlich zu verdeutlichen. Diskreditierte Ideen und fehlgeschlagene Initiativen – wie die der Bush-»Vision«, der »Road Map«, der »Annapolis«-Initiative und ähnliche – sollten auf den Schrottplatz der Geschichte geworfen werden. (…)

12. Es sollte darauf hingewiesen werden, daß sich dieses Ziel auf eine Neubewertung der amerikanischen nationalen Interessen gründet, um das Gift aus den amerikanisch-arabischen und amerikanisch-muslimischen Beziehungen zu ziehen, um die friedensorientierten Regime zu stärken, den Al-Qaeda-artigen Terror zu besiegen, den irakischen und afghanischen Krieg zu beenden und mit dem Iran eine realisierbare Übereinkunft zu erreichen.

13. Die Bedingungen für einen israelisch-palästinensischen Frieden sind klar. Sie haben sich in Tausenden von Stunden in Verhandlungen, Konferenzen, Treffen und Gesprächen zwischen den beiden Seiten herauskristallisiert. Es sind folgende:

a) ein souveräner und lebensfähiger Staat Palästina wird Seite an Seite mit dem Staat Israel errichtet.

b) Die Grenze zwischen den beiden Staaten wird sich auf die Waffenstillstandlinie von 1949 gründen – die »Grüne Linie«. Geringfügige Veränderungen können bei gegenseitigem Einverständnis mit einem Gebietsaustausch auf der Basis von 1 : 1 erfolgen.

c) Ost-Jerusalem, einschließlich des »Tempelbergs« und alle arabischen Stadtteile werden zur Hauptstadt Palästinas. West-Jerusalem, einschließlich der Klagemauer und alle jüdischen Stadtteile werden zur Hauptstadt Israels. Es wäre wünschenswert, eine gemeinsame Stadtverwaltung, die auf Gleichheit basiert, mit gegenseitiger Übereinstimmung zu errichten, damit die Stadt als territoriale Einheit verwaltet werden kann.

d) Alle israelischen Siedlungen – außer denen, die im Rahmen gegenseitigen Einvernehmens gegen Gebiete ausgetauscht wurden – werden evakuiert.

e) Israel wird im Prinzip das Rückkehrrecht der Flüchtlinge anerkennen. Eine gemeinsame »Kommission für Wahrheit und Versöhnung«, aus palästinensischen, israelischen und internationalen Historikern zusammengesetzt, wird die Ereignisse von 1948 und 1967 untersuchen, wer für was verantwortlich war. Jedem einzelnen Flüchtling soll die Wahl gegeben werden 1. zwischen Rückkehr in den Staat Palästina, 2. dort zu bleiben, wo er/sie jetzt lebt, und eine großzügige Kompensation zu erhalten. 3. Rückkehr nach Israel und dort wieder neu angesiedelt zu werden, 4. auszuwandern in ein anderes Land mit großzügiger Kompensation. Die Zahl der Flüchtlinge, die in israelisches Land zurückkehren können, wird durch gegenseitiges Einvernehmen festgelegt – mit dem Einverständnis, daß nichts getan wird, was die demographische Zusammensetzung der israelischen Bevölkerung wesentlich verändert. Die großen Geldmittel, die für die Erfüllung dieser Lösung nötig sind, müßten von der internationalen Gemeinschaft im Interesse des Weltfriedens aufgebracht werden. Dies würde viel Geld sparen, das heute für militärische Ausgaben und als direkte Subventionen aus den USA ausgegeben wird.

f) Die Westbank, Ost-Jerusalem und der Gazastreifen stellen eine nationale Einheit dar. Eine exterritoriale Verbindung (Straße, Bahn, Tunnel oder Brücke) wird die Westbank mit dem Gazastreifen verbinden.

g) Israel und Syrien werden ein Friedensabkommen unterzeichnen. Israel wird sich zu der Grenzlinie von vor 1967 zurückziehen, und alle Siedlungen auf den Golanhöhen werden aufgelöst. Syrien wird alle direkten und indirekten anti-israelischen Aktivitäten beenden. Beide Parteien werden normale Beziehungen miteinander aufbauen.

h) In Übereinstimmung mit der Friedensinitiative von Saudi-Arabien, erkennen alle Mitgliedstaaten der arabischen Liga Israel an und bauen normale Beziehungen zu ihm auf. Gespräche über eine zukünftige Nahost-Union – nach dem Modell der EU – die möglicherweise auch die Türkei und den Iran einschließen, können in Betracht gezogen werden.

6. Dezember 2008; dieser Text erschien im jüdisch-amerikanischen Magazin »TIKKUN«; aus dem Englischen von Ellen Rohlfs, redaktionell gekürzt