Des Blättchens 11. Jahrgang (XI), Berlin, 10. November 2008, Heft 23

Legende?

von Fritz Klein

Von historischen Legenden handelte ein Beitrag von Stefan Doernberg in einer Beilage des Neuen Deutschlands zur Frankfurter Buchmesse. Als bösartig und absichtlich die Wahrheit entstellend bezeichnet er »Die Legende vom Hitler-Stalin-Pakt« und lobt das gleichnamige Buch von Holger Michael, das sich gegen diese »Legende« wendet, in Übereinstimmung, wie Doernberg behauptet, mit Erkenntnissen der seriösen historischen Forschung. Woran er dabei denkt, ist schleierhaft, ist die Forschung doch weitgehend einig in der kritischen Beurteilung der Beziehungen Hitlerdeutschlands zu Stalins Sowjetunion am Vorabend des Zweiten Weltkriegs. 23. August 1939. Der Hitler-Stalin-Pakt lautete der Titel einer Dokumentation, die der DDR-Historiker Gerhart Hass im Jahre 1990 beim Dietz Verlag Berlin herausbrachte.
Zwingend ist der in diesen Dokumenten erbrachte Nachweis von der über Monate sich steigernden Tendenz der Verharmlosung, Annäherung und schließlichen Übereinstimmung der sowjetischen Politik mit Hitlerdeutschland: Nichtangriffspakt vom 23. August mit Geheimem Zusatzprotokoll (läppisch die Bemerkung Doernbergs, Michael habe nicht erwähnt, daß »einige Formulierungen« in diesem Dokument unvereinbar mit den Prinzipien einer sozialistischen Außenpolitik gewesen seien), Deutsch-sowjetischer Grenz- und Freundschaftsvertrag vom 28. September, den Doernberg schlicht nicht erwähnt, der gleichfalls ausgelassene Gipfelpunkt der Pakt-Kameraderie, die Aufteilung Polens, gepriesen vom Volkskommissar für Auswärtige Angelegenheiten der UdSSR Molotow in seiner Rede auf der Sitzung des Obersten Sowjets der UdSSR am 31. Oktober: »… ein einziger rascher Schlag gegen Polen, erst seitens der deutschen und dann seitens der Roten Armee, und nichts blieb übrig von diesem häßlichen Sproß des Versailler Vertrages.« Die internationale Lage, sagte Molotow weiter, habe sich in den letzten Monaten grundlegend verändert. Begriffe wie »Aggressor« und »Aggression« hätten eine neue Bedeutung gewonnen. Deutschland sei jetzt ein Staat, der nach Frieden strebt, während Großbritannien und Frankreich für die Fortsetzung des Krieges eintreten. Sinnlos sei ein Krieg für die Wiederherstellung Polens, abwegig die Behauptung, einen Krieg für die Demokratie gegen den Hitlerismus führen zu wollen. Wer angesichts solcher Handlungen und Erklärungen vom »Hitler-Stalin-Pakt« spricht, bastelt nicht an einer Legende, sondern beschreibt erschreckende Realität.